Trigon Themen 01|2017

Innovationsmanagementsysteme

Innovationssysteme agil gestalten – Praxisbeispiel aus einer sozialen Organisation

Bei der Einführung von Innovationssystemen bewegt man sich im Spannungsfeld von Planbarkeit und Flexibilität. Das Beispiel eines Beratungsprozesses für eine soziale Organisation zeigt, wie das Prinzip Agilität Erfolg bringend angewandt werden kann.

Ziel eines Projektes, das wir durchgeführt haben, war es, eine im Kern sehr gut funktionierende Organisation dauerhaft innovativer zu machen. Die Psychosozialen Zentren GmbH Niederösterreich (PSZ) unterstützen Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen. Mit rund 350 MitarbeiterInnen und über ca. 6.000 KundInnen sind sie eine der größten gemeinnützigen Trägerorganisationen im extramuralen psychiatrischen Bereich in Niederösterreich.

Organisationen im Sozialbereich haben einerseits viel Druck zur Veränderung, z. B. durch neue gesellschaftliche und gesetzliche Entwicklungen wie Migration oder Inklusion. Andererseits gibt es Rahmenbedingungen, die Veränderung erschweren, etwa die meist komplizierte Stakeholder- und Finanzierungssituation und die oft straff organisierten Betreuungsdienstleistungen.

Vor diesem Hintergrund war das Ziel, ein System in Kraft zu setzen, in dem Innovation ein ständiger, selbstverständlicher Teil der Organisation ist. Da es in der Organisation dazu bisher kein Vorgehens-modell gab, bestand der Wunsch nach einem Prozess dafür.

 

Learning by Doing

Sehr schnell wurde klar, dass existierende Standardprozesse nicht passten und dass es unmöglich ist, einen derartigen Prozess und Strukturen zu definieren, wenn es dazu keine Erfahrungen gibt. Daher entwickelten wir die Grundidee, ein Innovationsprojekt anhand eines konkreten Themas gemeinsam durchzuführen (Live-Projekt). Das Projekt orientierte sich an gängigen Konzepten, wurde aber an die speziellen Bedürfnisse angepasst.

 

Vom Prozess zum System

Ein Prozess – meist unter der Bezeichnung Innovationsmanagement – kann bei Innovation immer nur Teil der Lösung sein. Eine ebenso große Rolle spielt die kulturelle Komponente, ohne die speziell ein System zur Innovation nicht lebendig gelingen kann. Diese Komponente haben wir im Projekt Spirit genannt. Nach jedem gemeinsamen Schritt haben wir in einem Reflexionsworkshop die Fragen beantwortet: Wie soll dieser Schritt in Zukunft bei uns aussehen? Und Welche begleitenden/kulturellen Aktivtäten benötigen wir dazu? So wurde ein individueller Weg gefunden, der optimal zur Organisation passt und auf konkreten Lernerfahrungen mit dem Thema Innovation beruht.

Als Grundgerüst dienten sechs Schritte: Suchfeldanalyse, Ideengenerierung, Bewertung, Konkretisierung, Prototyping und Umsetzung. Dieses Vorgehen wurde gemeinsam entwickelt – so war etwa ursprünglich keine explizite Prototyping-Phase vorgesehen. Sie erwies sich aber im Live-Projekt als zweckmäßig und wurde daher in das zukünftige System aufgenommen. Alle anderen Schritte wurden in der konkreten Ausgestaltung der Prozessschritte und der kulturellen Aktivitäten stark angepasst.

Für die Suchfeld-Analyse wurde eine Vorgehensweise festgelegt, wie Suchfelder aus der Strategie als Thema vorgegeben werden können. Andererseits ist auch wichtig, dass die Offenheit für wichtige Themen gefördert wird. Daher wurden mehrere Instrumente eingeführt, um das Ohr an den Menschen zu haben, die tagtäglich mit den KundInnen zu tun haben – z. B. werden Anregungen im MitarbeiterInnengespräch abgefragt. In der Ideengenerierung geht es mit verschiedensten Methoden darum, Lösungen zu finden. Dazu gibt es mehrere explizite Formate wie Ideenworkshops und Ideenbrunch, aber auch eine klare Anlaufstelle für Ideen, die anders entstehen. Bei der Bewertung wurde viel Augenmerk auf die Kriterien gelegt und auf die Frage, wer bewertet. Betroffene und Angehörige reden hier mit. Der weitere Weg vertieft ausgewählte Themen in iterativen Schritten, indem sie konkreter werden. Es werden Prototypen und Geschäftsmodelle entwickelt und schließlich ein Umsetzungsprojekt aufgesetzt.

Agilität als Schlüsselbegriff

Der Begriff der Agilität spielt dabei eine besondere Rolle. In einem allgemeinen Sinn bedeutet das, schnell, flexibel, aktiv und anpassungsfähig zu sein. Auf organisationaler Ebene wird sie als wichtige Fähigkeit im Umgang mit Unsicherheit und in Zeiten der Veränderung angesehen und als Gegenstück zu langsamen, starren und bürokratischen Organisationen verstanden.

Der gesamte Beratungsprozess wurde agil gestaltet, also an Lern-Erkenntnisse und neue Anforderungen angepasst. Aber auch das Ergebnis sollte agil und somit in der Lage sein, sich an neue Anforderungen schnell und flexibel anzupassen. Das entwickelte Innovationssystem ist in einem Handbuch dargestellt. Am Beginn herrschte das Verständnis vor, dass dieses für die Organisation viele Jahre lang gültig sein sollte. Dieses Verständnis wurde ersetzt durch die Betrachtung des Handbuchs als Living Paper, das durch systematische Reflexion der Lernerfahrungen weiterentwickelt wird.

Das Innovationssystem, das dabei entstand, integriert viele moderne Innovationskonzepte und Methoden (z. B. Ansätze aus dem Design-Thinking, des Lean-Startup-Konzeptes oder der Business Model Generation). Zwischen den Schritten gibt es zahlreiche Abhängigkeiten und Feedbackschleifen, sodass sich die Ideen und Konzepte im Prozess meist stark verändern.

Entscheidungen werden immer nur bis zum nächsten Schritt getroffen. Es wird stark auf die Integration von KundInnen und Stakeholdern geachtet. Konzepte, die aus einem Unternehmensumfeld kommen, wurden für soziale Organisationen angepasst. Für die Business Model Generation existiert beispielsweise von den Autoren eine Adaption für Mission-Driven Organizations.

 

„Make it happen“ und „let it happen“

Für die PSZ war dabei wichtig, dass es einerseits möglich ist, das Innovationssystem strategisch zu steuern. Andererseits sollte auch unterstützt werden, dass Themen aus der Organisation entstehen. Weiters war das klare Ziel, Innovationsinitiativen nicht zwingend zu zentralisieren. Daher wurde einerseits dafür gesorgt, dass gemischte Teams mit neuen Methoden gezielt nach neuen Wegen suchen (make it happen). Andererseits wurden aber auch Anreize geschaffen, dass Innovation autonom in den Bereichen erfolgen darf und soll und dort gehört, aufgegriffen und mit Ressourcen ausgestattet wird. Es gibt dafür aber keine zentrale Steuerung (let it happen).

Verankerung in der Organisation

An zahlreichen Punkten wurden die Aktivitäten an die bestehende Organisation angedockt. Im bestehenden Strategieprozess können Themen für Innovation gesetzt werden, der MitarbeiterInnentag wird für Teile des Innovationssystems genutzt, die Planung der Weiterbildung orientiert sich an Erkenntnissen aus Innovationsprojekten und es

gibt weitere Verbindungen zu Stakeholder-Gremien und anderen Initiativen der Qualitätskontrolle und Organisationsentwicklung. Ziel ist es, hohe Präsenz und Selbstverständlichkeit des Themas Innovation im beruflichen Alltag zu erreichen. Dadurch wird die gesamte Organisation innovativer und agiler und kann sich auf systematische und doch flexible Art jederzeit an die Umwelt anpassen und erneuern.

 

Literatur

Agiles Manifest. Online im Internet:http://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html (abgerufen am 18.02.2017)

Osterwalder, Alexander (2016): The Mission Model Canvas: An Adapted Business Model Canvas For Mission-Driven Organizations. http://bit.ly/2lt5OVe (abgerufen am 18.02.2017