Vom Wandel überrollt oder vom Wandel erfüllt?
Ein Unternehmen, das vom Corona- und Digitalisierungs-Wandel voll getroffen wurde, steht vor der Frage, ob es gelingt, den radikalen Wandel als Entwicklungs-Chance zu nutzen.
Die bisherige Situation
Ein großer überregionaler Eventanbieter organisiert und konzeptioniert u.a. Präsenz-Veranstaltungen mit einem Schwerpunkt auf der inhaltlichen Konzeption von kulturellen Veranstaltungen und Kongressen (Konzeptveranstaltungen). Kurz vor der Coronakrise wurde eine eigene Abteilung „Digital“ eingerichtet. Die Zusammenarbeitsprozesse zwischen den Bereichen Konzeptveranstaltungen und Marketing sind schon seit langem von Spannungen gekennzeichnet, für die es mehrere Lösungsversuche gegeben hatte. Die Spannungen zeigten sich in gegenseitig stark verhärteten Bildern und in Prozessen, die von vielen Rückkopplungsschleifen in der Hierarchie geprägt waren.
Mit dem Wegfall vieler Veranstaltungen durch die Coronakrise wurde kurzfristig der Entschluss gefasst eine große Veranstaltung als Online-Angebot überregional durchzuführen. Es galt für alle Neuland zu betreten und die Digitalisierung als Chance zu nutzen ohne zu wissen, ob das am Ende von Erfolg gekrönt sein wird. In dieser Situation wurden die Spannungen so stark, dass die Geschäftsführung entschieden hat, dies grundlegend anzugehen.
Der Wandel
Zum Einstieg in den Prozess wurden die drei Bereiche Konzeptveranstaltungen, Marketing und Digital im Rahmen einer Selbstbild- und Fremdbildarbeit zu einem Perspektivwechsel aufgefordert: Was haben wir dazu beigetragen, dass die Anderen ein solches Bild von uns entwickelt haben? Bei der Vorstellung der eigenen Anteile haben sich Dialoge entwickelt, bei denen Schritt für Schritt ein tieferes gegenseitiges Verständnis entwickelt wurde. An den „heimlichen“ Spielregeln zeigte sich, wie stark die implizite Kultur die Prozesse und das Zusammenspiel der Menschen prägte – einige Beispiele:
- Sichere Dich schriftlich ab!
- Als Führungskraft musst Du alles bis ins Detail wissen!
- Sei zuerst Deinem Bereich gegenüber loyal – auch wenn es nicht der Sache dient!
„So offen, ehrlich und doch wertschätzend haben wir die Themen noch nie angeschaut“ war eine einhellige Rückmeldung. Der Weg war jetzt frei, um in Ansätzen das Neue zu entwickeln. Mit der Methode „weg von … hin zu …“ haben wir ein erstes Bild entworfen, welche Qualitäten es zukünftig zu entwickeln gilt:
Digital Leadership
Digital Leadership – Lernpotentiale
Widersprüchliche Bereichslogiken und verhärtete Bilder behindern die Entwicklung und Umsetzung von digitalen Projekten massiv. Die Führungsebene ist herausgefordert, sich dieser Bereichs-Logiken bewusst zu werden und sie zu überwinden.
Die plötzliche digitale Durchführung einer etablierten Veranstaltung hat in einigen Teams große Unsicherheiten, Ängste und Blockadehaltungen ausgelöst bis hin zu der Frage: Werde ich mit meinen Fähigkeiten in Zukunft noch gebraucht? Die Führung sollte in Situationen des radikalen Wandels, ihre strategischen Entscheidungen pro-aktiv kommunizieren und Dialogräume zu schaffen, um die Mitarbeitenden auf den neuen Weg mit zunehmen.
Das bisherige implizite Rollenmodell „die Führungskraft ist der beste Fachexperte, der alles weiß“ funktioniert nicht mehr. Es gilt ein völlig neues Rollenmodell für Führungsverantwortliche zu entwickeln, in dem sie zu Entwicklungsbegleitern und strategischen Impulsgebern werden. Dabei geht es auch darum, Nicht-Wissen zuzulassen, Verantwortung loszulassen und Vertrauen zu entwickeln.
Vor dem Hintergrund der neuen Rollen, der Komplexität und der Unsicherheit bekommen regelmäßige Feedback- und Lerngespräche eine ganz neue Bedeutung. Für Führungsverantwortliche bedeutet das Dialog-Räume zu schaffen, in denen diese Fähigkeiten angewandt werden.
Der Beratungsprozess wurde ausschließlich mit Zoom-Workshops durchgeführt. Durch den Einsatz von Break-Out-Rooms und mural, die ein hohes Maß an Transparenz, Mitwirkung und Fokus ermöglichen, waren alle erstaunt, wie intensiv und dicht Begegnungen auch im virtuellen Raum werden können. Es braucht eine Offenheit und Neugierde, die Möglichkeiten und Potentiale der digitalen Kommunikation zu nutzen.
Das gemeinsame Erforschen der hemmenden und förderlichen Faktoren und ein echter Perspektivwechsel haben in diesem Prozess die Energie freigesetzt sich auf einen neuen unbekannten Weg einzulassen. Es braucht die Bereitschaft und die Zeit, um nicht nur „im“ sondern auch „am“ System gemeinsam zu arbeiten.
Ergänzend zu der Erforschung der Ist-Situation (Druck – „weg von“) erzeugt eine aktive Auseinandersetzung und Identifikation mit dem Neuen einen Sog, der „Lust auf die Zukunft“ macht („hin zu“). Dafür gilt es Räume zu schaffen, in denen das Neue in offenen, kreativen Settings entwickelt werden kann.
Der Eventanbieter hat sich auf den Weg gemacht. Die beteiligten Bereiche waren vom Wandel überrollt und sind jetzt vom Wandel erfüllt.