Trigon Themen 01|2024

Trigon Academy

Konflikt und Krise – ein düsteres Paar?

NICHT ZWINGEND, DENN FÜHRENDE KÖNNEN DABEI MANCHES BEACHTEN UND TUN

Mit Krisen und Konflikten verhält es sich nicht einfach: Auf der einen Seite scheint es nur noch „spannende Herausforderungen“ mit sportlichem Charakter zu geben.

Auf der anderen Seite erleben wir seit eini gen Jahren diverse Dauerkrisen, für die sichnur schwer Lösungen finden lassen. Zudem werden Konflikte mit politischem Kalkül geschürt. Menschen bewegen sich somit zwischen egosportlicher Selbstoptimierung und permanentem Krisenmodus. In diesem gesellschaftlichen Kontext ist es für Menschen und Organisationen nicht einfach, einen förderlichen Umgang mit Krisen zu finden.

Konflikt = Krise?

Mit einem sozialen Konflikt assoziieren wir in der Regel unangenehme Gedanken und Gefühle. Die Beteiligten sind gefordert bzw. überfordert. Ein Konflikt bedeutet per se keine Krise, kann aber für die Beteiligten und die Organisation zu einer Krise abgleiten. Und: Mit Fortdauer gerät aus dem Blick, dass Konflikte auch wichtige „Schwellen“ darstellen können. Denn Entwicklung und Resilienz sind ohne Konflikte nicht  möglich. Doch sie benötigen proaktive Gestaltung und manchmal Begleitung. Für Führende ergibt sich ein Spannungsfeld, innerhalb dessen sie navigieren und entscheiden.

Eskalationsdynamiken und seelische Krisen

Ob bzw. wie sehr in Konfliktdynamiken Krisen entstehen, ist v.a. vom Grad der Eskalation (Glasl 2020) abhängig. Je tiefer ein Konflikt eskaliert, desto mehr regredieren die am Konflikt Beteiligten: Unbewusste, individuelle und kollektive Muster übernehmen das Steuer über das Denken, Fühlen und Handeln. Im Verständnis von „Krise“ als „Zuspitzung, Verengung“ wird deutlich, dass mit fortschreitender Eskalation (= Regression, Abstieg) auch Krisenphänomene zunehmen. Ich skizziere einige mit der Eskalationsdynamik einhergehende Phänomene, die Friedrich Glasl (2020) als „seelische Deformationen“ bezeichnet und ich in der Mediationspraxis häufig beobachte:

  • Die Wahrnehmung wird selektiv und als die einzig richtige erachtet, bei den Beteiligten entsteht ein „Tunnelblick“.
  • Das Denken vereinfacht und reduziert sich auf schwarz-weiß. Es kommt zu Pauschalisierungen, Interpretationen aus eigenen Vorannahmen, starren Zuschreibungen.
  • Das Fühlen wird deformiert: es entstehen u.a. erhöhte Empfindlichkeit („Dünnhäutigkeit“) oder Unempfindlichkeit („totstellen“), Verlust von Empathie, Gefühlsautismus.
  • Das Wollen tendiert zunehmend zu Fanatismus, Rache und zwanghafter Fixierung auf eigene Ziele. Es kommt zu einem selektiven Umgang mit der Wahrheit und zu dementierbarem Strafverhalten („Tja, das ist mir wieder passiert“).
  • Multivalenzen werden zu Monovalenzen: Das Gegenüber wird nicht mehr in seiner Vielfältigkeit wahrgenommen, sondern auf einen Aspekt reduziert („Er ist nur so“, „Bisher hat sie uns etwas vorgespielt, nun hat sie ihr wahres Gesicht gezeigt“).

Angesichts solcher regressiven Dynamiken reagieren Führende gelegentlich mit Aussagen wie „Wir sind ja nicht im Kindergarten!“. Erfahrungsgemäß werden solche negativ formulierten Appelle in einer  belastenden psychosozialen Dynamik als Abwertung erlebt.

Wirksamkeit von Führenden

Professionelle Führung bedeutet, auf zwischenmenschlicher und organisationaler Ebene präventiv zu agieren und in Konflikt- und Krisendynamiken frühzeitig, empathisch und der Situation angemessen zu intervenieren. Mögliche Ansatzpunkte dabei sind:

  • Wissen über und frühzeitiges Erkennen von Krisensymptomen in Eskalationsdynamiken
  • Ernstnehmen von Konflikten und Mut zum offenen Ansprechen von Wahrnehmungen
  • Empathie zeigen
  • Intervenieren: der Situation entsprechende Unterstützungsangebote entwickeln. Externe Begleitung idealerweise VOR Eskalationsstufe 5 hinzuziehen!
  • Wissen über biografische „Schwellen“, Krisen- und Konfliktpunkte in unterschiedlichen Lebensphasen
  • Wissen über organisationale Konfliktpotenziale
  • Kontinuierliches Entwickeln von Konflikt-, Fehler- und Lernkultur im Unternehmen
  • Etablieren einer internen Konfliktanlauf-/Clearingstelle (Konfliktmanagementsystem)
  • In der Wirkung häufig unterschätzt: sich der eigenen Konfliktmuster bewusst sein und darin weiterentwickeln

Auf diese Weise können Führende proaktiv zu „psychologischer Sicherheit“ (Edmondson 2020) beitragen. In einem solchen kulturellen Rahmen können Konflikte und Krisen zu Transformationen führen und ein neues Niveau der Zusammenarbeit, Effizienz und Ergebnisqualität mit sich bringen. Tiefgreifende Entwicklung von Menschen und Organisationen wird dann durch offene Dialoge und Co-Kreativität erst wirklich möglich.

Quellen: Friedrich Glasl (2020): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führung, Beratung und Mediation. Bern (12., aktualisierte und erweiterte Auflage) Amy C. Edmondson (2020): Die angstfreie Organisation. Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. München