Archetypen als Basis von Trigon-Modellen
Oft melden unsere Klienten als positive Erfahrung zurück, dass Trigon-Konzepte untereinander überraschend stimmig sind. Das Geheimnis der Stimmigkeit ist, dass die Konzepte gemeinsame „Urbilder“, sogenannte „Archetypen“ als Basis haben.
Was hat es mit diesen Archetypen auf sich?
Viele Dichterinnen, Philosophen und religiöse Leitpersonen haben gewusst, dass Urbilder auf Menschen inspirierend wirken. So ein Urbild ist zum Beispiel der Held (siehe Campbell): Vielen Gefahren zum Trotz verfolgt Odysseus sein Ziel – die Heimkehr zu seiner Frau Penelope – und entwickelt gerade an allen Schwierigkeiten seine Tugenden. Dass selbstverständlich auch Frauen Heldinnen sein können, zeigt unter anderem das Grimm-Märchen der Trommler. Wir kennen das Urbild König und Königin, die nach Hindernissen zusammenfinden; erst durch die Verbindung männlicher mit weiblichen Qualitäten zum ganzen Menschen können sie weisheits- und liebevoll regieren. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung erforschte das Phänomen Archetypen und zeigte, wie sie Menschen geistige Orientierung geben.
Mythen und Urbilder in der Kritik der Aufklärung
Wahre Urbilder sind keine Konstrukte schlauer Menschen, um damit zu manipulieren. Sie wurden nicht erfunden, sondern in allen Kulturen von Initiierten gefunden und dann als Mythen an ihr Volk weitergegeben.
Doch gilt das für aufgeklärte Menschen nicht als primitive Geisteshaltung? Obwohl die Aufklärung Mythen durch Wissen stürzen wollte (siehe Adorno), hat die neuere Philosophie die tiefere Bedeutung von Archetypen erkannt (siehe Hübner). Denn ein Mythos ist kein Produkt wilder Fantasien, sondern folgt einer strengen Logik. Deshalb aktiviert heute die Psychotherapie mit Märchen und Mythen tiefere Selbstheilungskräfte.
Die neuesten Forschungsergebnisse zur Epigenetik zeigen, dass seelische Befindlichkeiten und Erfahrungen an spätere Generationen vererbt werden. Ich sage in Analogie dazu, dass Archetypen epigenetisch als Kulturgut weitergegeben wurden. Sie leben dann im kollektiven Überbewusstsein und können in der geistigen, sozialen und materiellen Wirklichkeit erkannt werden. So werden sie eine Inspirationsquelle zur Gestaltung sozialer Formen sein. Aber ihre positive Wirkung entfaltet sich nur, wenn sie als Ideen lebendig sind und nicht als abstrakte Modelle oder Schemata angewandt werden.
Wieso können nun beim Wahrnehmen der äußeren Wirklichkeit innere Urbilder erkannt werden? Durch die Bilder in uns tritt unsere Innenwelt in Resonanz zu denselben Qualitäten in der Außenwelt. Wir kennen das Resonanzphänomen von zwei Stimmgabeln, die circa zwei Meter voneinander entfernt im Raum stehen. Wenn ich die eine Stimmgabel anschlage, beginnt auch die zweite zu tönen.
Archetypen einiger Trigon-Konzepte
Viele Basiskonzepte von Trigon stammen vom NPI-Institut für Organisationsentwicklung, an dem ich bis zur Gründung von Trigon 1985 gearbeitet habe. Am NPI wurde immer zusätzlich zur empirischen Evidenz auch die archetypische Stimmigkeit von Konzepten überprüft, bevor sie publiziert wurden. Nun gehe ich auf den archetypischen Hintergrund einiger Konzepte ein.
Das Systemmodell einer Organisation besteht aus drei Subsystemen: technisch-instrumentelles Subsystem, soziales Subsystem, kulturelles Subsystem. Dem liegt das Urbild der Drei-Einheit zugrunde. Nach Aristoteles ist die Drei die einzige Zahl, die Anfang, Ende und Mitte in sich trägt. Das macht die Drei zu einem Archetypus des Göttlichen und des Menschen – als Ebenbild Gottes. Als Individuum trage ich das Bild der Drei-Einheit unbewusst in mir, indem Körper und Seele und Geist mich zu einem ganzen Menschen machen. Deshalb erlebe ich ein Gefühl der Stimmigkeit in den drei Subsystemen der Organisation, weil in ihr mein Körper, meine Seele und mein Geist eine adäquate Umgebung vorfinden und ich mich wesensgemäß entfalten und entwickeln kann. Denn im kulturellen Subsystem können meine geistigen (und moralischen) Bedürfnisse zum Zug kommen, im gestalte ich als seelisches Wesen mein Zusammenleben mit anderen Menschen, und im technisch-instrumentellen Subsystem steht meine Leiblichkeit in enger Verbindung mit den natürlichen und materiellen Ressourcen.
In Trigon-Konzepten hat Polaritäten-Management große Bedeutung, bei dem es um den konstruktiven Umgang mit Spannungsfeldern geht. Das Urbild erläutere ich an den Polaritäten der Planetenkräfte unseres Sonnensystems. Da wirken – astrophysikalisch gesehen – unterschiedliche Kräfte zu einem dynamischen System zusammen. Mir geht es jetzt aber nicht um die physikalischen Kräfte der Himmelskörper von Mars und Venus, Jupiter und Merkur etc., sondern um archetypische Qualitäten, die mit den Planeten beziehungsweise göttlichen Wesen verbunden werden. Diese wurden in der Mythologie alter Kulturen beschrieben und wurden auch in der Kunst immer wieder zum Ausdruck gebracht: beispielsweise in der Musik (Paul Hindemith, Gustav Holst), in der Dichtung (unter anderen Sophokles, Dante, Shakespeare, Hölderlin), in der Malerei (Michelangelo, Raffael).
Wie finden sich Archetypen in Trigon-Konzepten?
Dazu zwei Beispiele:
Konfliktmanagement und Führungsaufgaben. Konfliktmanagement (Glasl, 2020) ist eines meiner zentralen Arbeitsgebiete. Namhafte Forscherinnen und Mediatoren empfahlen bestimmte Prinzipien für erfolgreiche Konfliktbearbeitung, die mir als einseitig, oft sogar widersprüchlich erschienen. Bei genauem Überprüfen erkannte ich darin Prinzipien, die als Polaritäten zueinanderstehen. Als ich ihnen als Hypothese das Urbild der Planeten-Qualitäten zugrunde legte, erkannte ich, dass sie ein Gesamtsystem bilden – wie auch die Planeten im Sonnensystem mit ihren Kräften und Gegenkräfte ein dynamisches Ganzes bilden. Auf diese Weise fand ich Interventionsprinzipien und Grundhaltungen, die ich mit folgenden Stichworten andeute:
- Konfrontieren und/oder Verbinden – die Polarität des Kriegsgottes Mars mit der Liebesgöttin Venus;
- Überblick, Zusammenhang, Mustererkennung bewirken und/oder Konkrete Details würdigen – die Polarität des weisen Jupiter mit dem beweglichen Götterboten Merkur;
- Identifikation, Verantwortungsfähigkeit zeigen und/oder Auf kühle mentale Distanzierung gehen – die Polarität Saturn (Ich-Kräfte) mit dem kühl spiegelnden Mond;
- Stimmigen Ausgleich schaffen – die Kraft der Sonne, mit der alle Polaritäten zu einem ausgewogenen Ganzen integriert werden.
Abb.: Schema der Führungsaufgaben, denen die Archetypen der Planetenqualitäten zugrunde liegen (nach Prof. Bernard Lievegoed)
Es kommt im Konfliktmanagement-Prozess darauf an, wann ich wie interveniere, welche Qualität zu wenig und welche zu stark aktiviert wird. Jede Übertreibung wirkt sich destruktiv aus, wie zum Beispiel einseitiges Konfrontieren (Mars) zu Streitsucht wird – zusammenführen immer und überall (Venus) Harmoniesucht bedeutet, usw.
Am Beispiel der Führungsaufgaben: Viele Führungspersonen haben in Organisationen mit Spannungen zu tun, bei denen es sich primär nicht um Widerspruch im logischen Sinn handelt.
Prof. Bernard Lievegoed vom NPI hat bei einer eingehenden Analyse von Führungsaufgaben herausgefunden, dass diesen die Archetypen der Planetenqualitäten zugrundeliegen, wie im folgenden Schema gezeigt wird.
Keine Tätigkeit allein genügt, sondern braucht die Ergänzung durch den Gegenpol. Wenn dem einen Pol ein Zuwenig des Gegenpols gegenübersteht, verpufft dessen Energie. Es hängt immer von der konkreten Situation ab, wann etwas zu wenig oder zu viel ist. Die Sonnenqualität besteht darin, das rechte Maß zu finden. Damit ist jedoch nicht ein quantitatives Mittelmaß gemeint, sondern eine Synthese der komplementären, einander ergänzenden Qualitäten.
An einigen Beispielen wollte ich zeigen, welche Bedeutung Archetypen für das soziale Gestalten haben. Nur lebendige Urbilder ermöglichen zu erkennen, ob etwas lebensförderlich oder lebensfeindlich, human oder inhuman, das heißt menschengemäß ist. Das Erkennen von Urbildern in der Alltagswelt ist aber nicht eine angeborene Fähigkeit, die man hat oder nicht hat. Die Anlage dazu hat jeder Mensch, und jeder kann sie mit dem Schulen der Achtsamkeit und durch Pflege imaginativer und intuitiver Fähigkeiten entwickeln.
Literatur
Campbell, J. (1999). Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt am Main.
Jung, C. G. (1948). Symbolik des Geistes. Zürich. Adorno, Th. W. (1969). Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main.
Hübner, K. (1985). Die Wahrheit des Mythos. Freiburg/München.
Blumberg, H. (1986). Arbeit am Mythos. Berlin. Feyerabend, P. (1989). Irrwege der Vernunft. Berlin.
Glasl, F. (2020). Konfliktmanagement. 12. Auflage. Bern/Stuttgart.
Glasl, F./Lievegoed, B. (2016). Dynamische Unternehmensentwicklung. Bern/Stuttgart.
S. 121 ff.
Lesen Sie mehr zum Thema Syntaktisch in Beratung und Führung in unserer Gesamtausgabe Trigon Themen 03|2019