Trigon Themen 1|2016

Radikale Erneuerung

Sich neu erfinden

Wenn Innovation nicht reicht - radikaler Wandel in Organisationen. Sprunghafte Entwicklungen sind in Organisationen manchmal nötig. Sie erfordern ein neues Bewusstsein, das Erleben der zukünftigen Möglichkeiten und in der Folge eine mutig, agile Umsetzung.

Eine Meldung aus dem Wirtschaftsteil einer österreichischen Zeitung: Durch fallende Preise kommen Stromversorger extrem unter Druck. Schätzungen gehen davon aus, dass nur ein Zehntel der Stromversorger übrig bleibt. Ähnliche Konsolidierungen haben in anderen Branchen bereits stattgefunden, sind im Gange oder stehen unmittelbar bevor, wie etwa in der Bankenwelt, dem Taxigewerbe, dem Handel oder in der Automobilbranche. Nach einer Studie der WU Wien unter CEOs der Top-Unternehmen in Deutschland und Österreich geht fast die Hälfte der CEOs davon aus, dass das aktuelle Geschäftsmodell in zehn Jahren nicht mehr oder nur mehr bedingt tragfähig ist.

In unserem Leben waren wir noch nie mit so massiven Veränderungen und Umbrüchen konfrontiert wie heute. Klar ist auch, dass die Geschwindigkeit für Veränderungen noch zunehmen wird.

Wenn Organisationen mit solchen massiven Veränderungen und Herausforderungen konfrontiert sind, ist es mit dem üblichen Effizienzdenken, den kleinen Anpassungen und Weiterentwicklungen, wie sie in den vergangenen Jahren ausgereicht haben, nicht mehr getan. Hier braucht es einen massiven Wandel, sonst steht mittelfristig das gesamte Unternehmen auf dem Spiel.

In dieser Phase müssen sich Organisationen neu erfinden, und zwar einerseits in Hinsicht darauf, wozu sie existieren. Das bedeutet eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Besinnung auf den Sinn und Zweck der Organisation bzw. ihre Mission. Es kann sein, dass die Existenzberechtigung noch stimmt, möglicherweise hat sich aber die Umwelt so stark verändert, dass die Mission angepasst oder neu gefunden werden muss.

Andererseits stellt sich die Frage nach dem Wie bzw. Womit: Ist die Art und Weise, wie eine Organisation ihren Sinn erfüllt, noch passend? Oder sind Ressourcen zur Last geworden und es finden sich andere Unternehmen, die die gleiche Aufgabe besser, schlanker oder moderner erfüllen?

Wenn man über den Sinn oder die Ressourcen einer Organisation nachdenkt, so ist das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit ein massiver Wandel, der nicht mehr linear verläuft, sondern den man sich als Sprung vorstellen kann: Ein Radical Jump, der dem sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser ähnelt. Es geht um neue Visionen und um die Neuerfindung des Geschäftsmodells, um weiter im Spiel zu bleiben.

Wie sieht das Modell des Radical Jump konkret aus? Es geht um eine Methode, die aus drei aufeinander aufbauenden Phasen besteht. Eine Voraussetzung für das Gelingen dieser Methode ist ein grundsätzlich ergebnisoffener Zugang aller Beteiligten, das Aushalten von Unsicherheit und die Bereitschaft, sich auf unkonventionelle Methoden einzulassen.

Sehr gut beschreibt das ein Zitat von Ernest Hemingway: Live the full life of the mind, exhilarated by new ideas, intoxicated by the romance of the unusual. Ein radikaler Wandel benötigt viel von dem, was hier genannt wird: Die Fähigkeit, Möglichkeiten unabhängig von gegenwärtigen Beschränkungen zu sehen, die Aufregung des Neuen zu spüren, um in eine Aufbruchsstimmung zu gelangen und sich – auch im Team – von der Anziehungskraft des Außergewöhnlichen berauschen zu lassen.

Worum geht es in der Phase 1? Unternehmen, die sich auf diesen Prozess einlassen, starten in einer Klausur mit Initiativträgern, meist dem Top-Management und weiteren Führungskräften, die ein gutes Gespür für das Geschäft besitzen und in der Lage sind, einen ungeschönten Blick in die Zukunft zu werfen, nach dem Motto: Bis jetzt ist alles gut gelaufen, aber ich habe kein Vertrauen mehr, dass es in Zukunft so weiter läuft. Für dieses Infragestellen der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit nimmt sich die Gruppe Zeit, um gemeinsam mit einem professionellen Prozessbegleiter diesem Gefühl nachzuspüren, das Umfeld zu erkunden und in intuitionsfördernden Settings in Aufbruchsstimmung zu kommen. Dazu werden auch Glaubenssätze identifiziert, es wird die gemeinsame Intention entwickelt und der Raum für Veränderungen aufgespannt.

Die Ergebnisse aus dieser Phase sind…

  • ein geschärftes Bewusstsein für relevante Veränderungen im Marktumfeld,
  • klare Herausforderungen und Suchfelder, wo es neue Lösungen braucht,
  • eine Vorstellung, was die nächsten Schritte im Prozess sind sowie
  • ein Team, das sich für einen radikaleren Wandel verantwortlich fühlt.

Die Phase 2 fordert die Gruppe, sich auf neue und inspirierende Methoden einzulassen, die Organisationsgrenzen für Externe zu öffnen, eine interdisziplinäre Vernetzung herzustellen und Glaubenssätze zu transformieren. Damit werden Potenziale erschlossen, an die ursprünglich keiner gedacht hat. Zentral ist dabei eine intuitive Herangehensweise, in der nicht logisch-induktiv Lösungen systematisch gesucht werden, sondern ganzheitliche Vorstellungen und Bilder entwickelt werden, die in der Folge konkretisiert werden.

Zu den Methoden gehören zum Beispiel Presencing – mit Intuition die Zukunft in die Gegenwart holen, Effectuation – unter Verzicht auf Vorhersagen mit machbaren, kleinen Schritten handeln und etwas bewirken, Sustainable Life Cycle Assessment – ein Instrument, das einen ganzheitlichen Überblick über die soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit gibt, oder ein Hackathon – eine Kombination der Wörther Hack und Marathon, der ein Treffen interdisziplinärer Entwickler, Experten etc. bezeichnet, um in begrenzter Zeit kreative und ungewöhnliche Lösungen zu konzipieren.

Das Ergebnis daraus sind neue, visionäre Ideen, Bilder über zukünftige Angebote und in der Folge klar umrissene und kommunizierbare Lösungsvorschläge.

In der Phase 3 geht es darum, diese Lösungsvorschläge auszuarbeiten und ins Leben zu bringen. Diese Entwicklung erfolgt nach agilen Methoden, arbeitet stark mit Prototyping und bezieht alle Aspekte des Geschäftsmodells mit ein. In dieser Phase ist es ganz normal, dass Ideen scheitern, verändert werden oder sogar massive Richtungswechsel (pivoting) erfolgen.

Endergebnisse sind am Markt geprüfte Modelle und Prototypen mit einer betriebswirtschaftlichen Abschätzung für den Geschäftserfolg. Teile der Organisation befinden sich damit bereits im Wandel und es geht nun neben der inhaltlichen Neuausrichtung auch darum, die Organisation als Ganzes, insbesondere natürlich die Mitarbeiter- Innen, auf diesem neuen Weg mitzunehmen.

 

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