Ein Unternehmen der Zukunft
im Gespräch mit Christine Kipkue und Daniel Kröpfl, Tele Haase.
Das Wiener Technologieunternehmen Tele Haase führte in den letzten Jahren selbststeuernde Organisationsprinzipien ein und setzt auf demokratische Führungsstrukturen.
Christine Kipke und Daniel Kröpfl sind bei Tele Haase im Prozess Sales tätig.
Trigon Themen: Tele Haase hat sich in den vergangenen Jahren sehr gewandelt. Ihr habt demokratische Entscheidungsmechanismen eingeführt und eure Unternehmensstruktur konsequent an den Prozessen ausgerichtet. Was war der Auslöser für den Prozess der Veränderung?
Christine: Nachdem Christoph Haase, der Sohn des Firmengründers, wieder in die Geschäftsführerrolle des Unternehmens schlüpfte. Am Ursprung der Wandlung stand er vor der Situation, eine Entscheidung treffen zu müssen, für die er sich nicht als Experte sah. Aus dieser Erfahrung heraus wollte er die Entscheidungsbefugnisse ändern und die Hierarchiepyramide entfernen. Zudem wollte er die Organisation der Zukunft schaffen. Er wollte den Innovationsanspruch von Tele Haase auch in der internen Organisationsgestaltung leben und ein Unternehmen der Zukunft gründen.
TT: Wie seid ihr bei dieser Veränderung des Unternehmens vorgegangen?
Daniel: 2013 wurde die Organisationsänderung eingeleitet. Wir haben die bestehenden Abteilungen aufgelöst, damit haben auch die bisherigen Führungskräfte ihre Funktionen verloren. Die neue Struktur brachte drei Hauptprozesse und elf Unterstützungsprozesse mit sich.
TT: Wie lange dauerte diese Phase?
Daniel: Die Vorbereitungen für die Transformation im engeren Sinn dauerten ein Jahr. Letztlich ist dieser Prozess der Umsetzung aber nie abgeschlossen, wir sind immer noch am Weg. So haben wir die Zahl der Unterstützungsprozesse kürzlich auf acht reduziert.
TT: Welche Hauptprozesse und Unterstützungsprozesse gibt es bei euch?
Christine: Unsere Hauptprozesse sind Sales, Innovation und Production, an Unterstützungsprozessen haben wir z. B. Finance-Management, Human Resource, Informationstechnologie, Marketing, Quality Management oder Office Management. Auch die Regie, wie wir ja sanft unsere Geschäftsführung bezeichnen, nimmt eine unterstützende Rolle ein.
TT: Wie sieht eure Unternehmensstruktur heute aus?
Christine: Jede/r MitarbeiterIn bei Tele Haase hat eine Grundrolle im Unternehmen. Er/sie ist ProzessmitarbeiterIn. Darüber hinaus kann man sich bewerben, um weitere Verantwortungen zu übernehmen, z. B. für einen weiteren Teilprozess als Teilprozessverantwortliche/r oder für einen ganzen Prozess als Prozessverantwortliche/r. Ebenso kann die Verantwortung in einem der beiden Gremien (Geschäftsplan oder Organisation) übernommen werden. Einige weitere Zusatzfunktionen bilden beispielhaft die Personalverantwortung, Projektverantwortung oder Arbeitsgruppenverantwortung ab.
Daniel: Dabei gibt es aber ein paar wichtige Regeln. Hier gilt es zu beachten, dass der Personal- und Prozessverantwortliche nicht demselben Prozess entstammen darf, um Konflikte zwischen der fachlichen und persönlichen Entwicklung des einzelnen Mitarbeiters zu vermeiden. Das heißt, dass der Personalverantwortliche von Sales seine Grundrolle im Produktions- oder Innovationsprozess haben kann, nicht aber im Prozess Sales selbst.
TT: Was ist aus eurer Sicht anders als in anderen Organisationen?
Daniel: Ich denke, was bei uns wirklich das Besondere ist, dass vieles sehr transparent gemacht wird. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen über Auftragssituation, Kosten oder auch die Höhe der Gewinnentnahme des Eigentümers Bescheid. Jeder weiß, wer aktuell an welchem Meeting teilnimmt und was dort besprochen wird. Alle Arbeitsgruppen, Gremien und Co sind in unserem Intranet sichtbar. Man kann darin auch alle Protokolle nachlesen. Überall in der Produktion stehen iPads und Bildschirme, damit jede/r einzelne/r MitarbeiterIn ohne eigenem Computer informiert ist. Allerdings gibt es dann bei uns auch keine Ausreden, dass man etwas nicht gewusst hat.
TT: Gibt es auch Ausnahmen von dieser Transparenz?
Daniel: Eine Ausnahme bilden zurzeit noch unsere Löhne und Gehälter. Die sind gegenwärtig noch nicht transparent. Eine Arbeitsgruppe ist da noch dran.
TT: Wie kommen solche Arbeitsgruppen zustande?
Christine: Wenn jemand eine Arbeitsgruppe eröffnen will, kommt das in das zuständige Gremium. Dieses stimmt der Bildung der temporären Arbeitsgruppe zu oder kann auch ablehnen. Ein Prinzip ist auch, dass das Tagesgeschäft Vorrang vor der Arbeit in den Arbeitsgruppen hat.
TT: Welche Möglichkeiten haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich über die Gremien zu beteiligen?
Christine: Organisationsentscheidungen werden in Gremien getroffen. Ein wesentliches ist das Geschäftsplangremium, in dem alle Prozessverantwortlichen vertreten sind. Ein zweites wichtiges ist das Organisationsgremium, das für die Weiterentwicklung der internen Organisation zuständig ist. Darin sind alle Prozesse durch einen jeweils entsendeten Mitarbeiter vertreten. Dort wird auch entschieden, wer Prozessverantwortlicher wird. Eine freiwillige Bewerbung wird hierfür natürlich vorausgesetzt. Für die Arbeit in den Gremien haben wir außerdem eine Gremienordnung mit detaillierten Regeln.
TT: Wie wird innerhalb der Gremien entschieden?
Christine: Ideal ist es, wenn ein Konsens gefunden wird. Wenn jemand gegen eine Entscheidung ist, kann neu diskutiert werden. Früher verliefen wir uns hier aber oft in Diskussionen. Mittlerweile haben wir interne Besprechungen auf zwei Stunden limitiert. Wenn innerhalb dieser Zeit keine mehrheitliche Entscheidung erzielt wird, wird der Tagesordnungspunkt auf einen späteren Zeitpunkt verlegt.
TT: Was sind die Chancen, die ihr in eurer Organisationsform seht?
Daniel: Wir merken, dass sich viele Kunden interessiert an unserer Organisationsform zeigen. Wir haben ein Image als innovatives Unternehmen und wollen das auch durch die Art und Weise forcieren, wie wir uns organisieren und ziehen somit auch Projekte abseits des Komponentengeschäfts an Land. Mittlerweile werden wir oft zu Vorträgen und Seminaren eingeladen. Inzwischen zeigt sich, dass sich die neue Organisationsform auch wirtschaftlich bezahlt macht. Wir machen mehr Gewinn.
TT: Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr zu kämpfen?
Christine: Das erste Jahr war sehr turbulent. Wir hatten nach dem Start des Veränderungsprozesses eine Personalfluktuation von insgesamt 30 – 40 %. Vor allem viele frühere Führungskräfte wollten diesen Weg nicht mitgehen. Mittlerweile ist das ganz anders, wir ziehen mit unserer Organisation potenzielle neue MitarbeiterInnen an. Aber auch heute noch kann es vorkommen, dass neue MitarbeiterInnen sagen: Eure Organisationsform ist für mich nicht geeignet. Ich brauche klare Anweisungen.
TT: Wie erfolgt die Leistungssteuerung?
Daniel: In den Prozessen bzw. dem Geschäftsplangremium werden die wirtschaftlichen Ziele vereinbart. Diese betreffen die gesamte Organisation. Damit sind alle MitarbeiterInnen eines Prozesses für die Zielerreichung verantwortlich. Zielvereinbarungen mit Einzelpersonen haben wir nicht.
TT: Wie entwickelt sich euer unternehmerischer Erfolg seit der Neugestaltung?
Daniel: Im vergangenen Jahr zeigten sich die ersten Hinweise, dass sich die Neugestaltung wirtschaftlich rentiert. Wir merken auch, dass unser Image als innovatives Unternehmen dadurch positiv beeinflusst wird. Das Interesse an unserer Organisationsstruktur ist groß. Letztlich hat auch das Auswirkungen auf unseren wirtschaftlichen Erfolg. Christoph Haase, unser Eigentümer, sieht es auch als Erfolg, dass er nun weniger im Unternehmen arbeitet und sich dafür mehr darauf konzentrieren kann, am Unternehmen zu arbeiten.
TT: Vielen Dank für das Gespräch.
Lesen Sie mehr zum Thema Selbststeuerung in Organisationen in unserer Gesamtausgabe Trigon Thmen 02/2016