Glasls Glosse
Obschon die Corona-Krise noch nicht vorbei ist, lassen sich aus den Erfahrungen bereits einige Lehren gewinnen. So hat sich in den Monaten der massiven Einschränkungen in Bezug auf Führen und Arbeiten folgendes herausgestellt.
Führen bei physischer Distanz zu Mitarbeitern, die im Home-Office geistige Arbeit verrichten, kann gut gelingen, wenn auf einige Besonderheiten geachtet wird. Da die Mitarbeiterinnen ohne Sichtkontrolle eigenständiger und eigenverantwortlich arbeiten, erfordert dies von der Führung Vertrauen in deren Fähigkeit und Willigkeit zur Selbststeuerung. Das funktioniert aber nur, wenn die Mitarbeiter Sinn und Zweck der Aufgabe gut verstehen, zu ihrem Anliegen machen und konsequent selbständig arbeiten dürfen. Somit sind Sinnorientierung sowie konkrete, klare Ergebnisvereinbarungen unabdingbar: Was soll erreicht werden? Wie wird es gemessen? Wie ist es zu verantworten? Und wie passt es zu den umfassenderen strategischen Zielen der Organisation? Eine konventionelle „Führung auf Sicht“, die jederzeit korrigierend eingreifen kann, ist hier zum Scheitern verurteilt.
In vielen Organisationen bestehen in der Regel auch bei geistigen Arbeiten Anwesenheitskontrollen, u.a. mittels Zeiterfassungsystemen. Damit soll gesichert werden, dass die Mitarbeiterinnen durch ihre Anwesenheit Leistungen erbringen. Mit dem „Kaufen von Zeit“ soll die Leistung der Menschen vergütet werden. Das ist für körperliche Arbeiten in einer Produktorganisation und auch für „Dienstleistungen auf Abruf“ möglich und oft notwendig, doch für geistige Arbeit gelten andere Prinzipien. Wie die großangelegte Google-Untersuchung (Amy C. Edmondson, Die angstfreie Organisation, München 2020) zeigte, ist ein Gefühl der Sicherheit das A und O, und das wird nur durch Vertrauen möglich. Bei Teleworking besteht die Gefahr, dass Führung reduziert wird auf die eins-zu-eins-Beziehung zwischen Führungsperson und dem einzelnen Teammitglied. Dadurch werden Querverbindungen unter Mitarbeiterinnen vernachlässigt, als würde jede isoliert eine Funktion ausüben. Deshalb sind regelmäßige Gruppensitzungen online erforderlich, und darüber hinaus auch immer wieder in Präsenz. Schon vor der Corona-Zeit hat sich gezeigt, dass Teamentwicklung nur auf virtuelle Weise nicht gut möglich ist. Denn die qualitativen Aspekte der Kommunikation werden dadurch drastisch reduziert – daran ändern auch moderne Programme nichts, mit deren Hilfe wir „Bild-zu- Bild“-Kontakte haben können. Erst wenn Menschen seelische Nähe auf physischer Basis einige Zeit gespürt haben, können sie später auch bei online-Kommunikation gut aufeinander eingehen.
Aufgrund solcher Erfahrungen ist zu hoffen, dass Home-Office nach den Corona-Zwängen mehr als vorher und vor allem professionell praktiziert wird.
Friedrich Glasl