aus den TrigonThemen 1|2019
Die Struktur eines Unternehmens hat das Potenzial, die Kultur nachhaltig zu beeinflussen und mitzugestalten. Sie wirkt auf die Kultur - egal, ob die Organisation zentral oder dezentral, hierarchisch oder eher flach aufgebaut oder nach Funktionen oder Geschäftsprozessen organisiert ist.
Wir stoßen in unserer Arbeit immer wieder auf Organisationen, in denen gewachsene Kulturmus- ter und Verhaltensweisen mühsam und schwierig geworden sind. Zu lange würde es dauern, nur über Interventionen in der Kultur Veränderungen her- beizuführen und das Erstarrte in Bewegung zu bringen. In solchen Fällen kann es wirkungsvoll sein, kulturelle Veränderungen durch Strukturim- pulse auszulösen und möglich zu machen. Strukturelle Interventionen sind eine bewusste Störung und Irritation des Systems, damit die gegebene Stabilität in Bewegung geraten kann. Diese Ein- griffe in die Organisationsstruktur werden dann von gezielter Kulturarbeit begleitet, um überkom- mene Denkmodelle, Entscheidungsmuster und Verhaltensweisen zu bewegen.
Kultur ist vielfältig
Unter Organisationskultur verstehen wir Denkmodelle, Werte und Regeln einer Organisation, die gemeinsam geteilt werden. Die gelebte Kultur zeigt sich in Entscheidungen und im Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiterinnen. Will oder muss man die Kultur einer Organisation verändern, dann stellt sich die Frage „Wo ansetzen?“, weil das Feld der Organisationskultur für eine umfassende Änderung oft zu breit und umfassend ist. Ein Ansatzpunkt meiner Beratungsarbeit ist, bei der Aufbauorganisation anzusetzen.
Digitalisierung fordert
Organisation wird meist auch eine strukturelle Frage aufgeworfen: „Was soll in Zukunft zentraler und was dezentraler gestaltet und geregelt werden?“
Antworten, die wir bisher sehen, sind: Administra- tive und automatisierbare Prozesse werden zentraler gesteuert jedoch dezentral bedient (Plattformwirtschaft), die kundenbezogenen Services und Entscheidungen werden hingegen deutlich dezentraler organisiert, da die erwartete Geschwindigkeit vom Markt dies erfordert.
Funktionen kritisch prüfen
Viele gewachsene Organisationen sind nach Funk- tionen aufgebaut und organisiert — die funktionalen Bereiche unterstützen die fachliche Expertise. Sie bremsen aber die Zusammenarbeit in Bezug auf die Anforderungen der Kundinnen, die ja meist über mehrere Funktionen hinweg zu bearbeiten sind. Eine agile Kultur, in der schnell und flexibel auf Kundenanforderungen reagiert werden muss, fordert im operativen Geschäft Organisationsformen, die funktionsübergreifend und ohne komplexes Schnittstellenmanagement die Aufgaben erfüllen können.
Ein Immobilienunternehmen hat sich nach einer konsequenten Organisation rund um Kernprozesse und Kundengruppen zum Marktführer entwickelt. Es war die neue Unternehmenskultur, die einen Markterfolg ermöglichte. Die unternehmerisch verantwortlichen Geschäftsbereiche entwickeln eine neue, markt- und wirkungsorientierte Kultur – ausgelöst vor allem durch die neue Struktur.
Kritische Größen einrichten
Ein wesentliches Gestaltungselement der Aufbauorganisation ist die Größe von Teams und Abteilungen. In vielen Unternehmen finden wir Mikro- Teams, also viele Abteilungen mit wenigen Mitarbeitern. Diese Mikro-Teams führen zu unnotwendigen Abgrenzungen und Schnittstellen, dennTeams bilden immer auch eigene Identitäten und Spielregeln. Diese müssen dann in der Zusammen- arbeit zwischen den vielen Mikro- Teams mühsam überwunden werden. Von kleinen Teams sprechen wir, wenn die Anzahl unter sechs Mitarbeiterinnen fällt.
In einem Beratungsunternehmen gab es neben dem Team der 15 Berater drei kleine Gruppen: Ein Kundenbüro mit drei Mitarbeitern, Marketing und Qualität mit drei Mitarbeiterinnen und ein Supportbüro mit zwei Mitarbeitern. Die Zusammenarbeit zwischen den Beraterinnen und dem Team des Kundenservice war immer wieder belastet. Die Schnittstellen waren unklar, das Kundenservice zu klein, um flexibel auf die unterschiedlichen Anfor- derungen reagieren zu können. Kultur-Workshops zur besseren Zusammenarbeit brachten nicht wirklich Besserung. Erst die Neustrukturierung durch die Zusammenlegung der drei keinen Teams zu einer Abteilung mit acht Personen brachte die nötigen Änderungen, auch kulturell. Es konnte jetzt deutlich flexibler gearbeitet werden und das neue Team Services agiert mit der neuen Teamleitung auf Augenhöhe mit den Beratern.
Sekundärorganisation nutzen
Kleinunternehmen mit wenigen Mitarbeiterinnen brauchen praktisch keine Aufbauorganisation. Die Mitarbeiter werden ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement entsprechend eingesetzt und geführt. Wächst das Unternehmen auf 20 und mehr Mitarbeiterinnen, so stellen sich auch schnell Strukturfragen. Es braucht Teams oder Abteilungen und bei einer Mitarbeiteranzahl über 30 oft auch eine weitere Führungsebene. Das Unternehmen wird strukturiert. Es wird eine Aufbauorganisation geschaffen, die wir Primärstruktur nennen. Durch das Schaffen dieser Abteilungen werden auch Trennwände gebaut, es kommt zu Separierungen und zu Sub-Identitäten. Jetzt braucht es Verbin- dungen zwischen den Abteilungen. Dort, wo es notwendig ist, zwischen den Abteilungen abge- stimmt zu arbeiten oder Entscheidungen zu treffen, setzen wir die sogenannte Sekundärstruktur ein. Sekundärstrukturen verbinden das, was durch die Primärstruktur getrennt wurde. Wirklich wichtig und bedeutsam wird diese Sekundärstruktur vor allem in großen Unternehmen, weil dort die Silo-Kultur der Abteilungen und Bereiche schon recht ausgeprägt wirken kann.
Solche Sekundärstrukturen sind mit hoher Achtsamkeit zu gestalten, da sie oft ein wichtiger Träge der Unternehmenskultur sind: Meetings über Abteilungen hinweg, Querschnittsabteilungen auf Zeit, agile Teams, Projektgruppen, Town hall meetings etc. sind Beispiele dafür.
Sekundärstrukturen prägen Kultur
Parallelsysteme erneuern
Wenn es in gewachsenen Organisationen um radikalere Erneuerungen geht, können Parallelor- ganisationen (siehe Weiss 2016) ein Ansatz sein, um die notwendigen kulturellen Rahmenbedin- gungen zu ermöglichen. Neben der Murtterorganisation wird eine zweite Organisation, ein Parallelsystem, mit klaren Aufgaben etabliert. Entscheidend ist die Distanz, Organisation aufgebaut wird. Diese muss einerseits die zur bestehenden erlauben, dass sich neue Regeln und Verhaltenswei-sen und damit eine neue Kultur entwickeln kann. Andererseits braucht es aber eine intelligente Anbin- dung an das bestehende System.
Beispiel für Parallelsysteme: Im Workshop eines Automobilkonzerns diskutierten wir, wie die neue Abteilung zum Thema „Digitalisierung und ständige Internetverbindung des Autos“ gestaltet werden sollte. Das Ergebnis kurz zusammengefasst:
Würde man aus diesem Teaam einfach eine Abteilung machen, die den anderen gleicht, könnte man keine radikale Innovation erwarten. Innerhalb weniger Monate würde das neue Team die Muster und Regeln des dominierenden Systems überneh-men und lediglich inkrementelle Innovationen hervorbringen. Die Lösung war, ein Parallelsystem zu etablieren, das anderen Regeln (Entlohnungssys- teme, Personalrecruiting, Arbeitszeiten, Entscheidungsvollmachten) folgen durfte.
Literatur
Weiss, Mario (Hrsg.) (2016). Handlungskompetenz Innovation. Bern, Stuttgart, Wien
Weiss, Mario (2011). Management in Skizzen. Bern, Stuttgart, Wien
TrigonThemen 01|2019
Lesen Sie mehr zum Thema Agilität in unserer Gesamtausgabe der Trigon Themen 1|2019: