Vom Mut, gewohnte Pfade zu verlassen
Ingo Bieringer im Gespräch mit Harald Bauer und Petra Gruber
Bei dm Österreich machte sich das Ressort "Marketing und Einkauf" auf den Weg in Richtung Agilität. Ein persönlicher Bericht über den Stellenwert von Kultur, Veränderungen im Verständnis von Führung, eine hilfreiche Vision und den Umgang mit Ängsten.
Harald Bauer ist seit 2008 Ressortverantwortlicher für Marketing und Einkauf bei dm Österreich. Petra Gruber ist seit 2017 ebenfalls Ressortverantwortliche. Zuvor war sie als Sortimentsmanagerin tätig.
Trigon Themen: Ihr habt im Ressort „Marketing und Einkauf“ vor vier Jahren mit einem OE-Prozess begonnen. Was waren damals eure Motive für diesen Prozess?
- Gruber: Äußere Rahmenbedingungen und Prozesse ändern sich schnell und wir hatten bisher versucht, mit starren organisatorischen Strukturen darauf zu reagieren. Der Wunsch war nun, schneller zu reagieren und zu gestalten. Auch Überlastung war ein Thema.
- Bauer: Wir galten als Team mit fast ausschließlicher Orientierung auf Leistung. Worauf wir auch berechtigt stolz waren. Und wir sind damit an Grenzen gestoßen. Uns wurde klar, dass es nun um das soziale Miteinander geht. Die Sehnsucht danach war da. Zudem wollten wir einen bevorstehenden Generationswechsel rechtzeitig gestalten. Wie kann uns das gelingen, wenn jeder für seinen Bereich zuständig und darin kompetent ist und offene Fragen über Richtlinien geregelt werden? Das wollten wir über Zusammenarbeit im Team und auf Augenhöhe gestalten, um voneinander zu lernen.
TT: Welche Erkenntnisse sind im Laufe des Prozesses entstanden?
- Bauer: Wir hatten zuerst damit begonnen, neue Strukturen zu entwerfen und haben an Organigrammen gearbeitet. So versuchten wir anfangs, mit Instrumenten der Differenzierungsphase, die in dieser Phase entstandenen Probleme zu lösen. So haben wir aber die Menschen in die Zukunftsgestaltung des Ressorts nicht einbezogen. Von oben konnte das nicht kommen. Wir haben bald alle Menschen eingebunden, das Management, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dann haben wir ein Zukunftsbild entworfen. Was soll im Ressort in Zukunft leben? Wir mussten uns davon verabschieden, dass wir rasch zu einer Lösung kommen und wie bisher projektartig vorgehen können. Weil es eben kein Ende gibt. Das war eine durchaus schmerzhafte Erkenntnis und eine schwierige Phase im Prozess. Denn wir wollten ja auch wieder Konstanz und Sicherheit.
- Gruber: Es braucht dafür einen langen Atem. Dabei war wichtig, dass wir uns regelmäßig vergegenwärtigt haben, was wir am Weg schon erreicht haben, auch die kleinen Schritte. Der Informationsfluss zu jedem Mitarbeiter hin ist hier wesentlich. Außerdem wurde uns klar, dass es keine Abteilung für OE geben kann. OE soll ein Bemühen aller sein. Dafür ist letztlich kulturelle Entwicklung entscheidend.
- Bauer: Mein Verständnis von Führung hat sich grundlegend geändert. Früher war man als Führender wichtig: Die Menschen brauchen meine Entscheidung! Das streichelt durchaus das Ego. Nimmt man Subsidiarität wirklich ernst, muss man sich als Führender ändern. Denn wenn du Menschen ihre Entscheidungen abnimmst, nimmst du ihnen die Chancen zur Entwicklung. Und du nimmst ihnen ihre Erfolge! Und auch die Misserfolge, an denen sie wachsen können. Das war ein großes Evidenzerlebnis.
- Gruber: Es war entscheidend, dass uns Harald damals vertraut und uns die Freiheit zur Gestaltung gelassen hat. Er hat uns keine Antworten gegeben, sondern wiederum Fragen gestellt. Es war zeitweise schwer auszuhalten, dass es keine Orientierung im Sinne von Vorgaben gab. Aber genau das war wichtig, auch für die Entwicklung von Vertrauen.
- Bauer: Das war mit viel Selbsterkenntnis und Selbsterziehung verbunden. Ich hätte aber damals meine Motive dafür noch deutlicher kommunizieren sollen, damit hätte ich einige Irritationen vermeiden können. Das kann ich beim nächsten Mal noch besser machen.
TT: Was hat sich seither verändert? Wo steht das Ressort heute?
- Gruber: Es gibt auf allen Ebenen mehr Eigenverantwortung, mehr Mut Dinge auszuprobieren ohne zu fragen darf ich, soll ich? Diese Eigenverantwortung wird mittlerweile auch offen eingefordert.
- Bauer: Wir haben eine größere Konfliktbereitschaft und -fähigkeit. Richtlinien werden nicht mehr so strikt befolgt. Aber die machen es eben scheinbar einfacher. Der Dialog über die Sinnhaftigkeit einer Initiative und eine fachliche Rückmeldung sind fordernder, daran können wir noch arbeiten.
- Gruber: Auch nach außen hin hat sich einiges geändert. Wir sind offener geworden, wir fordern auch Kontakte ein. Dadurch werden wir außen anders erlebt.
TT: Wann habt ihr Kultur als wesentlichen Aspekt des Entwicklungsvorhabens erkannt?
- Bauer: Gleich zu Beginn. Schon in dem Bild wurde eine ganz andere Kultur beschrieben. Der Wunsch nach einem anderen Verständnis von Subsidiarität und der Weiterentwicklung unserer Zusammenarbeit kam darin zum Ausdruck.
- Gruber: Die OE war auch mit Ängsten verbunden. Wir haben bald Veranstaltungen mit allen Mitarbeitern gemacht und dafür neue Formate gefunden. Welche Befürchtungen sind da, was macht das mit mir? Werde ich überflüssig? Dem haben wir viel Zeit gegeben und ständig Transparenz hergestellt.
TT: Welche kulturellen Aspekte sind für euch von besonderer Bedeutung?
- Bauer: Ein wesentlicher Aspekt war Freiheit mit Verantwortung und den Menschen die Freiheit zu geben, sich in diese Richtung entwickeln zu können. Dazu gehört auch Konfliktfähigkeit. Noch mehr: das Interesse am anderen! Ich habe eine soziale Verantwortung innerhalb der Organisation, nicht nur für meinen Tätigkeitsbereich.
- Gruber: Setzt man sich wahrhaftig mit anderen auseinander, gehört dazu auch eine Feedbackkultur. Und das Reden über Ängste: So lege ich Masken ab und zeige mich als Manager den Mitarbeitern authentisch. Es war auch wichtig, gleich zu Beginn einen gemeinsamen Leitstern, eine Vision zu erarbeiten. Das war für uns die Weltkugel. Das Bild hat uns auch über schwierigere kulturelle Fragen getragen.
TT: Was war im Prozess die für euch jeweils persönlich wichtigste Erfahrung?
- Bauer: Als ich mich den Managern in einer Übung offen gestellt habe: wie werde ich erlebt, was wünschen sich die Manager, was möchte ich künftig anbieten, was möchte ich anders machen. Und das auch von den Managern gespiegelt zu bekommen. Das war damals unbequem und sehr fordernd, eine Feuerprobe. Dabei habe ich auch erlebt, wie offene Konfliktfähigkeit gelebt werden kann und ich beschäftige mich seither intensiv damit.
- Gruber: Ein wertvoller Moment war für mich, als wir uns kreativ-spielerisch mit uns als Ressort beschäftigt haben. In diesem selbstkritischen Blick auf uns und unsere Wirkung nach außen sind wir meines Erachtens zu des Pudels Kern gekommen. Will ich so sein? Will ich so wahrgenommen werden? Und als wir erkannt haben, dass wir den OE-Prozess nicht projektartig bearbeiten können, habe ich mich stark hinterfragt. Warum fällt mir das schwer? Da haben mir viele Gespräche geholfen. Wir haben Mut entwickelt, gewohnte Pfade zu verlassen.
TT: Vielen Dank für das Gespräch!