Wie stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum agilen Unternehmen?
Wie erleben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die agile Transformation ihres Unternehmens? Nur mit einem entsprechenden Mindset lassen sich die Veränderungen gut bewältigen. Agiles Mindset ist allerdings keine unveränderbare Konstante.
Er schlug sich als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband-und Hafenarbeiter durch. In die USA war er über ein Stipendium der österreichischen US-Botschaft gelangt, das er im Alter von 19 Jahren mit einem Aufsatz zur „Welt, in der wir leben wollen“ gewann. Er studierte Philosophie in Princeton, promovierte mit einer Arbeit über Hegel und erhielt Lehraufträge für Philosophie in Princeton, Stanford, Chicago und Berkeley, später wurde er Professor in Michigan.
Im Jahr 1977 veröffentlichte Frithjof Bergmann sein Buch On Being Free, in dem er das Konzept von New Work beschrieb. Bergmann argumentierte darin für einen Freiheitsbegriff, der damit zu tun hat, dass man für sich selbst arbeitet, dass man entdeckt, „was man wirklich, wirklich will“.
Das Konzept der New Work, das zentrale Werte wie Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft propagiert, gilt heute als eine der Ursachen für den Wandel zu mehr Agilität in Unternehmen. Ziel der Neuen Arbeit ist es nicht, die Menschen von Arbeit zu befreien, sondern Arbeit so zu transformieren, dass sie freie, selbstbestimmte Menschen hervorbringt.
Als Gründe für die agile Transformation von Unternehmen werden vielfach organisationsexterne Faktoren genannt. Die digitale Wende, geändertes Kundenverhalten und die damit verbundenen neuen Geschäftsmodelle sind tatsächlich wesentliche Einflussfaktoren. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von organisationsinternen Treibern, die in Unternehmen den Wandel hin zu mehr Agilität verursachen.
Unternehmen reagieren mit ihrem Streben nach Agilität unter anderem auf geändertes Werteverhalten von Mitarbeitern, die viel Wert auf eine kulturelle Passung persönlicher Lebensmotive mit beruflichen Anforderungen legen. Ein weiterer Grund ist die zunehmende Individualisierung von Mitarbeiter-Bedürfnissen, womit beispielsweise keine einheitlichen Lösungen in Hinblick auf Mitarbeiter-Entwicklung mehr möglich sind. Schließlich reagieren sie auf die demografischen Veränderungen, die zum zunehmenden Fachkräfte-Mangel führen und Unternehmen in Verbindung mit dem War for Talent (siehe Ed Michaels u.a., 2001) immer häufiger daran hindern, ihre Dienstleistungen und Waren in ausreichender Quantität und Qualität bereitzustellen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind somit nicht nur Betroffene, sondern verursachen und fordern vielfach auch die Agilisierung von Organisationen.
Der Hinweis auf die Individualisierung von Mitarbeiter-Bedürfnissen zeigt allerdings auch, dass Mitarbeitende unterschiedliche Prädispositionen und Erwartungshaltungen mitbringen. Selbstverständlich suchen Mitarbeitende nicht nur nach Verantwortung und Mitbestimmungsmöglichkeiten, sondern auch nach Orientierung und Stabilität – beides Bedürfnisse, die in agilen Organisationen nicht immer befriedigt werden.
Eine Mitarbeiterin von Tele Haase, einem innovativen Wiener Technologie-Unternehmen, das den Wandel hin zu Agilität und tiefgreifender Selbstorganisation aus heutiger Sicht erfolgreich geschafft hat: „Am Anfang habe ich mir gedacht: Oh Gott, was wird denn das? Wie soll denn das alles funktionieren? Keine Ahnung, wie das weitergehen soll.“ (Interview-Zitat aus dem Film Augenhöhewege.) 30% Personalfluktuation während der Transformationsphase zeigen, dass das keine Einzelmeinung war (siehe Interview in: Trigon Themen 2/2016).
Eine – von den Mitarbeitern gewählte – Führungskraft dazu: „Auch heute noch gibt es wenige Mitarbeiter, die sagen, euer Organisationsmodell ist nichts für mich. Aber die meisten Mitarbeiter sehen dies als erfolgreiches Modell an, in welchem sie motiviert arbeiten können“ (siehe Interview: Trigon Themen 2/2016).
Agiles Arbeiten bedeutet auch, dass es weniger klare Planungsstrukturen gibt, dass Pläne häufiger umgeworfen werden und Mitarbeitende sich rascher auf neue Situationen einstellen müssen. Eine Mitarbeiterin von Systelios, einem vom Hypnosystemiker Gunther Schmidt gegründeten privaten Gesundheitszentrum in der Nähe von Heidelberg, schildert ihre Sorgen und Vorbehalte zum geringen Grad an Planung: „Ich habe gedacht, das kann ja nicht sein. Man braucht doch eine Richtlinie. Aber die gab es nicht.“ (siehe Film Augenhöhe).
Eine andere Mitarbeiterin tut sich damit leichter und bringt dazu einen sehr plastischen Vergleich mit der Kunst guten Kochens: „Ich koche am liebsten ohne Rezept und trotzdem wird es lecker. Hier [bei Systelios] ist es ähnlich. Es würfelt sich halt irgendwie zusammen […] und am Ende wird es gut.“ (siehe Film Augenhöhe).
New Work und agile Unternehmensorganisation funktionieren nur mit einem agilen Mindset der im Unternehmen tätigen Menschen. Es braucht eine offene Haltung und Kompetenzen rund um die Themen Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit. Nötig sind auch die Bereitschaft zu dynamischer Planung sowie Lern- und Reflexionsbereitschaft.
Mindset ist aber keine unveränderliche Konstante. Mit gestiegenen Anforderungen entwickeln sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch weiter und entfalten die nötigen Kompetenzen, um den Umgang mit Agilität zu lernen. Ein Mitarbeiter von Semco, einem brasilianischen Maschinenbau-Unternehmen, das zu den Pionieren im Bereich des Mitarbeiter-Empowerment und der Mitarbeiter-Partizipation zählt und mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung darin hat: „Auf kurze Sicht ist Mitbestimmung nicht einfach umzusetzen, weil die Leute es nicht gewohnt sind.“ (Quelle: Film Kick out your boss).
Die Praxis zeigt, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchaus agile Unternehmenskulturen suchen. Viele Menschen sind allerdings auch so sozialisiert, dass sie in bestehenden Handlungsroutinen stecken bleiben. Sie erwarten, dass Führungskräfte für sie Entscheidungen treffen und meinen, dass funktionierendes unternehmerisches Handeln fixe Pläne und genaue Kontrolle braucht. Wäre agile Unternehmensführung nun bloß eine Reaktion auf die Wünsche und Bedürfnisse von Mitarbeitenden, so könnte man versucht sein, jedem das Seine zuzubilligen. Da es – wie anfangs beschrieben – aber auch eine Reihe von externen Faktoren gibt, die agiles Handeln für viele Unternehmen zunehmend zu einer Existenzfrage machen, ist es entscheidend, dass Unternehmen hier auf geeignete Personalentwicklungsinstrumente setzen, die Agilität und damit Selbstverantwortung, Mitarbeiter-Beteiligung am Entscheidungsfindungsprozess sowie Umgang mit komplexen Planungssituationen fördern. Außerdem braucht es konkrete HR-Instrumente zur Förderung und Verbesserung des Dialogs, der teamorientierten Leistungsbeurteilung, und der Förderung der externen und internen Kundenorientierung quer durch alle Mitarbeiter-Bereiche.
Literatur
Frithjof Bergmann (1977). On Being Free. University of Notre Dame.
Ed Michaels, Helen Handfield Jones und Beth Axelrod (2001). The War for Talent. Harvard Business School Press.
Interview-Zitat aus dem Film Augenhöhewege. Ein Film von Philipp Hansen, Silke Luinstra, Sven Franke, Daniel Trebien, 2016. www.augenhoehe-wege.de
Interview „Ein Unternehmen der Zukunft – Wolfgang Grilz und Brigitta Hager im Gespräch mit Christine Kipke und Daniel Kröpfl von Tele Haase“. In: Trigon Themen 2/2016.
Interviews aus dem Film „Augenhöhe“, 2015. www.augenhoehe-film.de
Kick out your boss. Ein Film von Elisabeth Scharang. 2014. www.kickoutyourboss.com