Agile Steuerung in der Krise
von
Ingo Bieringer und Christoph Gräfling
Beobachtungen zum Vorgehen der österreichischen Bundesregierung. Und was daraus für (agiles) Leadership gelernt werden kann.
Situationen wie die aktuelle erfordern besondere Vorgehensweisen und eine andere Führung. Insofern können und dürfen derartige Krisen(bewältigungs)dynamiken nicht eins zu eins auf „Normalsituationen“ übertragen werden. Ebenso kann und soll politische Führung mit unternehmerischer Führung nicht gleichgesetzt werden. Dennoch: am Vorgehen der österreichischen Bundesregierung in den vergangenen Wochen lassen sich einige Aspekte beobachten, die für (agiles) Leadership erkenntnisreich sein können. Dabei leugnen wir nicht, dass es aktuell auch bedenkliche Entwicklungen gibt: dass der liberale Rechtsstaat und Bürgerrechte auf dem Prüfstand stehen, nationalstaatliches Denken und Handeln alte Blüten treibt oder manch regionale Behörde eine erstaunliche Ignoranz an den Tag legte.
Verknüpfung unterschiedlicher Zeithorizonte
Die gegenwärtige Situation verlangt rasche Entscheidungen und kurzfristige Maßnahmen. Diese Maßnahmen werden dabei immer wieder mit mittelfristigen Szenarien verknüpft. Kommuniziert wird dies in der bildhaften Darstellung von „einem Marathon und vielen Sprints“. Die kurzfristigen Maßnahmen („sprints“) werden auf das Wesentliche konzentriert („Tun, was nun zu tun ist“). Der „Marathon“, also die mittelfristige Perspektive, vermittelt das Bewusstsein zu einem weiteren Zeithorizont („Wenn wir an die Zeit ‚danach‘ denken“). Diese Perspektive wird auch mit positiven Visionsbildern verknüpft, etwa mit jenem von einem „Team Österreich“.
Lösungsorientiertes, schrittweises Vorgehen und Evaluierung von Fehlern
Das Wording der Bundesregierung lautet: „Wir arbeiten an Lösungen“. Der damit einhergehende Konsens in den Zielen und Prioritäten ermöglicht Fokussierung und macht deutlich, dass an die Nöte vieler Anspruchsgruppen gedacht wird: Gesundheitswesen, Kleinunternehmen, Großbetriebe, Arbeitslose, Kulturschaffende u.a.
Zudem hat man sich für ein schrittweises Vorgehen, Entscheiden und Kommunizieren entschieden. Die von der Regierung gesetzten und kommunizierten Maßnahmen haben durchaus das Potential, Panik zu erzeugen, daher werden die Interventionen schrittweise bekanntgegeben und umgesetzt. Hätte die Regierung zu Beginn der Krise alles auf einmal auf den Tisch gelegt, hätte dies zu einem kollektiven Schock mit unvorhersehbaren Auswirkungen führen können.
Die Regierungsspitze vermittelt, dass in einer kaum einschätzbaren Situation auch Fehler passieren können. Diese werden nicht geleugnet, sondern als Lernerfahrungen „mitgenommen“: „Wir werden die Maßnahmen evaluieren und daraus Schlüsse ziehen“, „Ich habe schon eine ganze Liste an Verbesserungen, die arbeiten wir in der Zeit ‚danach‘ auf“. Der Fokus liegt auf dem Kreieren von schrittweisen Lösungen.
Kommunikation und Transparenz
Die Kommunikationsstrategie lautet: einheitliches und schrittweises Kommunizieren der Maßnahmen. Die Ansprache der Bevölkerung durch einige wenige Entscheidungsträger und der klare Lead von Bundeskanzler und Gesundheitsminister erleichtern die Krisenkommunikation entscheidend. Nur so kann man auch die mit der Krise verbundene „Infodemie“, also die Flut an Falschmeldungen und Gerüchten, eindämmen. Blickt man sich in Europa um, ist dies nicht überall der Fall. In Deutschland etwa zeigte sich der Föderalismus zu Beginn der Krise von seiner sperrigsten Seite: praktisch jedes Bundesland setzte zu Beginn unterschiedliche Maßnahmen, wodurch eine bundesweit einheitliche Kommunikation erschwert wurde und wichtige Zeit verloren ging. Mittlerweile haben sich die Verantwortlichen auch in der Bundesrepublik zu mehr Einigkeit entschlossen.
Emotionale Intelligenz, Vertrauen und das Zurückstellen von Egoismen
„Mit der Corona-Krise sind plötzlich Leadership, Einigkeit, Empathie und staatsmännisches Handeln gefragt“, Eigenschaften, die „undisziplinierten Rechtspopulisten fremd sind“ (1). Mit nüchterner Fachkompetenz allein wäre die Situation nicht zu steuern. Hier spielt Vertrauen eine große Rolle. Das Vertrauen innerhalb der Regierung ist – trotz bestehender Unterschiede – von Beginn an erlebbar und ermöglicht auch unbürokratische Vorgehensweisen. Wesentlich dabei: dass die ProtagonistInnen weitgehend auf das Pflegen von Egoismen und Eitelkeiten verzichten. Auch wenn Rollen klar definiert sind, zählt der Beitrag jedes Einzelnen – die Komplexität lässt sich nur im Teamwork meistern. In Krisenzeiten ist das keine Selbstverständlichkeit, denn gerade hier kann rasch eine „Helferkonkurrenz“ entstehen.
Spannungsfelder
Besonders deutlich treten nun auch einige Spannungsfelder hervor. Für diese gibt es keine einfachen Antworten, und ihre kreative Gestaltung wird auch in Zukunft fordernd sein. Führung bedeutet, gemeinsam kreative Entscheidungen in scheinbar unvereinbaren Ambivalenzen zu erarbeiten: Was wird gemeinsam entschieden und kommuniziert? Und wie viel Individualität ist sinnvoll und verträglich? Wo ist internationale Zusammenarbeit hilfreich? Und wo braucht es nationale Entscheidungen? Wo sind Vorgaben unabdingbar? Und wo demokratische Prozedere? Was ist sinnvollerweise zentral zu steuern? Und wo sind föderale Strukturen hilfreich? Lange auf die Bank geschobenen Struktur- und Verwaltungsreformen aber auch die Föderalismusreform werden vor dem aktuellen Hintergrund ganz anders betrachtet werden. Die „Krise als Chance“ um zu zeigen, dass Demokratien Krisen bewältigen können. Und sich danach im Idealfall – national und international – weiter demokratisieren.
Literatur:
(1) Reinhard Heinisch: Corona hebelt Trumps Plan aus. In: Salzburger Nachrichten, 19.03.2020