Trigon Themen 02|2018

Befragungen bewegen Menschen und Systeme

Recruiting 2018

Bei der Personalauswahl können Erfahrung und Intuition gezielt durch standardisierte, evidenzbasierte Verfahren unterstützt werden. Wir zeigen anhand strukturierter Auswahlprozesse wie das funktionieren kann.

Die geeignetsten Kandidatinnen für offene Stellen zu finden wird zunehmend schwieriger. Noch vor kurzem galt es, aus einer Vielzahl von passenden Bewerbern die Besten auszuwählen. Heute hat sich die Situation am Arbeitsmarkt deutlich verändert. Die Konjunktur ist erfreulich, ebenso die Prognosen zur weiteren Entwicklung der Auftragslagen. Viele Unternehmen möchten in den kommenden Monaten neue Stellen etablieren. Eine Aufgabe, die sich immer anspruchsvoller gestaltet.

Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber berichten von Schwierigkeiten, offene Positionen adäquat zu besetzen. Dies bezieht sich nicht nur auf den vielfach prognostizierten Fachkräftemangel – auch bei vielen Top-Management-Positionen sinkt die Anzahl der interessierten und zugleich interessanten Kandidatinnen und Kandidaten.

Erfolg haben jene Organisationen, die Bewerberinnen über unterschiedlichsten Kanälen ansprechen. Die Bedeutung von klassischen Inseraten geht zurück. Jobportale bekommen einen deutlich größeren Stellenwert. Aktives Sourcing über soziale Medien und Suche auf Lebenslaufdatenbanken werden zunehmend verstärkt. Unternehmen nehmen Employer Branding ernst. Dadurch gewinnt ein lebendiger interner Stellenmarkt weiter an Bedeutung. Empfehlungen von Mitarbeitern werden systematisiert. Bei besonders exponierten

Positionen spielen auch weiterhin Head Hunter eine wichtige Rolle. Reverse Recruiting – also Arbeitgeber, die sich bei Kandidaten bewerben – wird für manche Branchen und Funktionen zur Realität.

Mehr denn je müssen Recruitingprozesse und die eingesetzten Auswahlinstrumente so gestaltet werden, dass für die Kandidatinnen und für die suchende Organisation Mehrwert entsteht. Der Nutzen für die Unternehmen liegt unter anderem in einer Vergleichbarkeit von Kompetenzprofilen durch die Anwendung von standardisierten Verfahren. Bewerberinnen können von einem Kompetenzprofil profitieren, in dem individuelle Stärken und Entwicklungsfelder aufgezeigt werden, selbst wenn die angestrebte Position nicht erreicht wird. Im Top-Management-Recruiting kann ein Prozess mit wechselseitigem Mehrwert so aufgesetzt sein, dass – unabhängig von einer Besetzung – ein kompaktes Feedbackgespräch nach einem Einzelassessment oder Hearing angeboten wird, in welchem auch die Ergebnisse der eingesetzten Testverfahren zur Verfügung gestellt werden.

Methodenmix

Aktuelle Auswahlprozesse kombinieren dialogische, verhaltensbasierte Elemente, in denen die Intuition der Entscheider zu tragen kommt, mit kompakten, standardisierten Instrumenten, die evidenzbasiert zur Objektivierung beitragen. Moderne, testtheoretisch und wissenschaftlich gut fundierte Onlineverfahren werden passend für die jeweiligen Funktionen zur Verfügung gestellt. Sie erlauben rasche Rückmeldungen mit standardisierter Ergebnisdarstellung. Die praktische Einsetzbarkeit erzeugt Akzeptanz. Fachkompetenzen können ebenso erhoben werden wie Interaktions- und Führungskompetenzen. Essentiell ist, dass Interpretation und detaillierte Rückmeldung nur durch Experten erfolgen.

Recruiting im Top-Management

In einem aktuellen Auswahlprozess im Top-Management gab es folgendes Setting: wenige, aber hochqualifizierte Bewerberinnen in einer Mischung aus internen Kandidaten, externen Bewerberinnen über Online-Ausschreibungen und Empfehlungen durch Headhunter. Mit den Auftraggebenden wurde das Idealprofil des künftigen Funktionsinhabers so detailliert dargestellt, dass es in den eingesetzten evidenzbasierten Verfahren gut objektiviert werden konnte. Einige der erhobenen Kompetenzen:

  • Strategiekompetenz & Visionskraft
  • Unternehmerische Orientierung & Gestaltungskraft
  • Akquisitions- & Vertriebssteuerungskompetenz
  • Führungskompetenz & Persönlichkeit

 

Methodisch wurde ein zweistufiges Verfahren gewählt. Nach Vorselektion der schriftlichen Unterlagen wurden halbstandardisierte Interviews geführt. Dazu wurden Führungskompetenzen und Persönlichkeit in zwei kompakten Online-Verfahren erhoben. Als Endauswahlrunde wurde ein, für das Jobprofil maßgeschneidertes, Einzelassessment durchgeführt, die Geschäftsführung traf die Entscheidung. Unabhängig vom Besetzungsergebnis konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Testergebnisse einsehen und ein persönliches Feedbackgespräch wahrnehmen. Das Angebot wurde gerne angenommen.

Recruiting für die Fläche

Ganz anders die Überlegungen in einem Großkonzern, wo es in den Filialen darum geht, viele vergleichbare Funktionen gut zu besetzen. Neben einer quartalsweisen nationalen Ausschreibung und einer gezielten Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice, wird auch eine Kampagne Kunden werden Mitarbeiterüberlegt. Leistungsbereitschaft und Durchhaltevermögen sind wesentliche Anforderungen an die Bewerberinnen. Diese werden in einem (mehrsprachengeeigneten) Online-Verfahren erhoben – noch vor einem standardisierten Einstellungsgespräch direkt in der Filiale.

 

Wird dabei jeweils ein standardisiertes Verfahren angewendet, bekommen die Entscheiderinnen in den Filialen ein gutes Gespür dafür, welche Ergebnisse eine positive Entwicklung versprechen und welche eher nicht. Weiters wird überlegt, wie bereits im Auswahlverfahren das Risiko von Frühfluktuation reduziert werden kann. Bewerberinnen können mit einer kurzen Checkliste selbst prüfen, ob ihre Lebensbedingungen mit den Rahmenbedingungen der Stelle kompatibel sind. Systematisch abgefragt werden: Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, Vereinbarkeit von Dienstzeiten mit familiären Verpflichtungen, Vorlaufzeiten bei Änderungen von Dienstplänen. Für den Großkonzern bedeutet erfolgreiches Recruiting nicht nur, die größere Anzahl von offenen Stellen rasch und gut zu besetzen, sondern schon im Auswahlprozess einen Grundstein dafür zu legen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eingestellt werden, auch länger bleiben.

Recruiting im Jahr 2018 ist eine Herausforderung. Erfolgreich werden die Organisationen sein, die es schaffen, einen kreativen, auf die spezifische Unternehmenssituation abgestimmten Suchprozess zu wählen. Dazu kommt ein Auswahlprozess mit einem Mix von intuitiven und evidenzbasierten, objektivierenden Verfahren, der Nutzen für Bewerber und Organisation bieten kann.