Syntaktische Arbeit im Coaching: Entwicklungsschritte schöpferisch gestalten
Komplexität und Veränderungstempo erhöhen sich fortwährend. Syntaktisches Arbeiten kann dabei unterstützen, die Übersicht zu behalten, Strukturen zu erkennen und neue
individuelle Möglichkeits- und Entwicklungsräume zu eröffnen.
Im Coaching erleben wir oft, dass Coachees sich multiplen Anforderungen gegenüber sehen, die ihnen sprichwörtlich das Gefühl vermitteln, im Wald zu stehen und diesen vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. In solchen Kontexten sind typische Aussagen: „Ich kann mich nicht entscheiden, muss aber eine Entscheidung treffen.“, „Es gibt so viele Gesichtspunkte, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich beginnen soll.“, „Ich überblicke die Situation nicht mehr und brauche Orientierung, um weiterzukommen.“
Wenn wir solchen Schilderungen nicht primär inhaltlich, sondern syntaktisch begegnen, ermöglichen wir im Coaching: • einen hilfreichen Umgang mit Komplexität zu finden, • einen Sortier- und Orientierungsrahmen für die jeweilige Fragestellungen zu bieten, • einen schöpferischen Prozess in Gang zu setzen und • dabei zieldienliche Entwicklungsschritte zu fördern.
Kraft der syntaktischen Arbeit: Schöpferisch gestalten
„Die Form ist die Möglichkeit der Struktur.“ (Wittgenstein, Tractatus, 2.033)
Wenn Menschen im Coaching ihre Probleme beschreiben, werden diese meist rein inhaltlich und nicht auf einer Musterebene beschrieben und bewertet. Damit verbunden ist ein Denken, Fühlen und Handeln in gewohnten Mustern als Ausdruck einer bestimmten Form. Dass dies nur eine von vielen aus der Struktur der Situation möglichen Form ist, wird oft durch eine zu inhaltsvolle Betrachtung übersehen, sodass das Gefühl aufkommt, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.
Ein syntaktischer Ansatz blickt hingegen auf die Strukturen und Muster eines Systems. Geprägt haben den Begriff syntaktisch Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer vom SySt-Institut mit ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeit.
Wie konkret kann syntaktisches Arbeiten Orientierung geben?
In der syntaktischen Arbeit bieten wir den Coachees für deren spezifische Themen oder Anliegen mit Schemata, Formaten oder Modellen eine Art Gefäß, das sie beim Sortieren von Themen unterstützt und ihnen zugleich Orientierungshilfen für Lösungsschritte gibt. Dafür besonders geeignet sind Modelle, die auf logischen Grundstrukturen oder auf Urbildern beruhen, weil sie etwas universell Menschliches repräsentieren und sich dadurch in aller Regel intuitiv und unmittelbar erschließen, während sie gleichzeitig fast beliebige Ebenen für ein immer noch tieferes Durchdringen ihrer Struktur und Zusammenhänge erlauben.
In der jahrelangen Kooperation von Trigon und konnten wir immer wieder feststellen, dass die auf Urbildern beruhenden Konzepte von Trigon ebenso syntaktisches Arbeiten ermöglichen wie die auf logischen Grundstrukturen basierenden Formate von SySt. Im Gegensatz dazu stehen rein kognitiv konstruierte Modelle, deren Anwendbarkeit häufig auf einen konkreten inhaltlichen Anwendungsbereich beschränkt ist und spezielle Vorkenntnisse benötigt.
Wenn wir also mit Modellen arbeiten, die auf logischen Grundstrukturen oder Archetypen basieren, geben wir den Menschen einerseits die Möglichkeit, ihre Fragestellungen und Themen so zu sortieren, dass sich nur schon dadurch neue Blickwinkel ergeben. Andererseits beinhalten diese Modelle auch Hinweise für nächste gute Schritte und können so auf einer rein strukturellen Ebene Orientierung geben. Das unterstützt Coachees, die eine Fragestellung einbringen, sich in Selbstverantwortung mit möglichen Antworten auseinanderzusetzen und Entscheidungen zu treffen, gibt ihnen aber dennoch Orientierung und Halt. Gleichzeitig ermöglicht ein syntaktischeres Vorgehen den Coachs, Angebote für Sortierung, Reframing und Orientierung zu machen.
Praxisbeispiel: Wieso verstehen mich meine Mitarbeitenden nicht?
Eine auf der Ebene der Ergebnisse sehr erfolgreiche und auch in der Öffentlichkeit hoch angesehene Führungskraft schildert im Coaching, dass sie den Eindruck hat, von vielen ihrer Mitarbeitenden nicht verstanden zu werden. Diese wären unzufrieden, würden sie kritisieren und sich über sie beim Vorstand beschweren. Sie schildert ihren eigenen Führungsstil als sehr sachbezogen und handlungsorientiert, sie achte auch sehr auf Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden und auf Fairness.
Schon während des Zuhörens kam die Idee auf, ihr das syntaktische Format des sogenannten Glaubenspolaritäten-Schemas nach SySt anzubieten, um die eigene Situation zu betrachten und in einem wertungsfreien Raum zu sortieren.
Das Glaubenspolaritäten-Schema ist ein triadisches Modell, dessen drei Pole sich ergeben, wenn wir die möglichen Richtungen des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns als logische Grundstruktur betrachten: Erkenntnis, Vertrauen und Handlung. Mit dem Schema kann zu zahlreichen Fragestellungen hilfreich gearbeitet werden. Hier sei nur eine von vielen Möglichkeiten und Verständnisebenen aufgezeigt, wie es angewendet werden kann.
In der Fragestellung im Coaching wurde schon beim Zuhören deutlich, dass die Coachee ihre Situation vor allem aus den Perspektiven des Erkenntnis- (klare Konzepte, es ist doch logisch aufgebaut, die Ziele sind klar, man muss das nur richtig durchdenken, das Wissen ist wichtig) und des Handlungspols (umsetzen, schnell handeln, Verantwortung übernehmen, einfach tun) schilderte und den Stil ihrer Führungsarbeit auch als an solchen Werten ausgerichtet beschrieb. Dem gegenüber wurden praktisch keine Äußerungen von Qualitäten aus dem Vertrauenspol (wie zum Beispiel Beziehung, Empathie, Vertrauen, Wertschätzung) genannt. Die kurze Erläuterung des Ganzheits-Schemas und ein gemeinsames Sortieren brachte der Klientin einigen Nutzen. So erkannte sie, dass die übliche Choreografie ihrer Führungsarbeit vom Erkenntnispol zum Handlungspol hin verläuft und den Vertrauenspol zwar über das Erwähnen von guten Resultaten als Anerkennung oder Wertschätzung zwar mit einbezieht, diesen aber nicht explizit anspricht. Sie vermutete, dass wohl viele Mitarbeitende mehr Erwartungen aus dem Vertrauenspol an ihre Führung haben könnten. Anhand der logischen Grundstruktur dieses Schemas konnte die Coachee damit beginnen, zu explorieren, wie sie ihre bisherige Choreografie erweitert, indem sie die Qualitäten des Vertrauenspolster stärker miteinbezieht und ihre Zugangstür zum Führungsraum dennoch beibehalten kann, um sich selbst treu zu bleiben.
Syntaktische Formate und Modelle öffnen Räume für schöpferisches Gestalten
Dieses kurze Beispiel illustriert, wie durch syntaktisches Arbeiten auf Basis einer logischen Grundstruktur für die jeweilige Fragestellung ein Sortier- und Orientierungsrahmen gefunden wurde. Und wie durch ein intuitives Verständnis dieser Struktur ein schöpferischer Prozess in Gang gesetzt wurde, um neue Möglichkeitsräume für individuelle inhaltliche Formen zu erkunden und eigene zieldienliche Entwicklungsschritte zu finden.
Literatur
Sparrer, I. & Varga von Kibéd, M. (2010). Klare Sicht im Blindflug. Heidelberg