Wie wir das Konzept der Entwicklungsphasen lebendig denken können
Es ist das Verdienst von Friedrich Glasl, dass Bernhard Lievegoeds Modell der Entwicklungsphasen von Organisationen - Pionier-, Differenzierungs- und Integrationsphase - im deutschen Sprachraum populär wurde. Und er beschrieb darüber hinaus eine vierte Phase, die Assoziationsphase.
Das Phasenmodell von Lievegoed/Glasl verlangt, dass es „lebendig“ gedacht wird, in einem einheitlichen Zusammenhang. Diesen Zusammenhang gewinnen wir, so Lievegoed, wenn wir zum Beispiel den Kreislauf von Keim, ausgeformter Pflanze und Frucht zu verstehen beginnen. Die ungestüme Geste des Keimes ist die seelische Signatur der Pionierphase. Im Unternehmen wird mit Kraft und Schwung jede Arbeit angegangen, manchmal auch rücksichtslos im besten Sinne – unbedacht und ohne viel Sorge. Der Wille ist die treibende Kraft.
Aufgrund zunehmender Komplexität drängt es die Organisation, in eine Differenzierung und Spezialisierung überzugehen. Gelingt dies nicht, so lebt sie in einer überreifen Pionierform weiter, vielleicht auch lange, allerdings zum Preis der bekannten Leiden, wie permanenter Überforderung und einer Tendenz zum Chaos.
Die Differenzierungsphase ist eine deutlich komplexere Lebensphase des Organismus. Bei der Pflanze zeigen zum Beispiel ein Eichenstamm, ein Eichenblatt und eine Eichenblüte radikal verschiedene, ausdifferenzierte Erscheinungsformen.
In der Organisation hat nun jede Abteilung ihre spezifische Aufgabe und die Binnengliederung in spezialisierte Organe tritt an die Stelle des pionierhaften Zentralgehirns. Aber damit werden auch die Schnittstellen, das Zusammenspiel und die Einheitlichkeit zur neuen Herausforderung und drängen schon zur Integration.
In der Integrationsphase schließlich bildet die Organisation Früchte und neue Samen in Form von Lern- und Initiativkräften aus, die das Abteilungsdenken und die zentrale Steuerung überwinden. Multiprofessionelle Teams, angeleitet durch einen einheitlichen Sinn, lernen selbstgesteuert im horizontalen Prozess zusammenzuarbeiten. Was heute unter „agiler Selbstorganisation“ angestrebt wird, ist nichts anderes als eine mögliche Äußerungsform dieser schon vor Jahrzehnten beschriebenen Integrationsphase.
Friedrich Glasl erkannte jedoch in den 90ern, dass selbst diese Form noch nicht das Ende des immanenten Entwicklungsbestrebens von Organisationen sein kann. Wir alle hängen wirtschaftlich zusammen, ob wir wollen oder nicht, und deshalb kann eine sinnvolle Weiterentwicklung nur darin liegen, über die Unternehmensgrenzen hinaus co-abhängige Biotope zu bilden, die einander unterstützen. So vorausschauend es vor 50 Jahren war, die Integrationsphase zu denken, so ist es heute vielleicht die Assoziationsphase.
Um diese Phase lebendig denken zu lernen, lohnt es sich, unseren Blick auf die Natur und ihre unterschiedlichen Lebensgemeinschaften zu lenken, so zum Beispiel auf Wälder.
In den letzten Jahren wurde erforscht, wie Bäume einander unterstützen. So teilen gesunde Bäume Nährstoffe miteinander und leiten sie über ausgeprägte Wurzelsysteme an kranke Bäume weiter. Wird ein Baum von Schädlingen angegriffen, gibt er Duftstoffe als Warnsignale ab. Diese werden vom Wind weitergetragen und die Waldgesellschaft ist gewarnt. Die Kommunikation erfolgt u.a. durch elektrische Signale und über ein Netzwerk aus Pilzen und Wurzeln.
Zurück zu den Organisationen: In einer Zeit, in der die Wirtschaft immer stärker auf Konkurrenz und individuellen Profit ausgerichtet ist, stellt das assoziative Wirtschaften eine zukunftsträchtige Alternative dar. Gruppen von Konsumentinnen und Konsumenten, Händlerinnen und Produzenten schließen sich zusammen mit dem Ziel, allen Beteiligten einen Anteil am Wertschöpfungsstrom zu ermöglichen, der von diesen als angemessen und gerecht empfunden wird.
Bei einer Assoziation geht es um eine Schicksalsgemeinschaft, basierend auf langfristigen gemeinsamen Strategien und Verträgen. Wechselseitig übernimmt man Verantwortung für das Wohl aller beteiligten Partner und auch das der Umwelt. Im Unterschied zu Kooperationen, bei denen sich gleichgerichtete Interessen zusammenschließen, geht es bei einer Wirtschaftsassoziation um ein partnerschaftliches Netzwerk von gegensätzlichen Interessensgruppen.
Vor einiger Zeit durfte Trigon bei der Geburt einer assoziativen Initiative im Bereich „solidarische Landwirtschaft“ mitwirken. Die Erstidee war sehr ambitioniert…
Durch die Tatkraft engagierter Menschen entstand: Mei Biobauer – Wirtschaftsgemeinschaft Mittelkärnten. Die Leitidee lautet: Wir halten zusammen. Wir engagieren uns füreinander!
Egal ob Landwirtschaft oder Industrie, Friedrich Glasl plädiert für das Schaffen von Kultur-, Wirtschafts- oder sozialen Inseln. Sie sind Keimzellen für das Neue. Sein Credo: „Man darf sich nicht entmutigen lassen durch Menschen, die sagen, eure kleinen Beiträge verändern doch nicht das Wirtschaftssystem.“