Innovation durch Mindful Leadership
von
Rudi Ballreich, Tobias Lang und Susanne Skandera
Wo beginnt innovatives Denken? In einem Bewusstsein, das sich für Neues, Unbekanntes öffnet. Innovatives Denken stößt immer an die Grenzen der Organisationskultur. Wie kann es gelingen, dass Führungskräfte den Mut finden, diese Grenzen zu überschreiten?
Innovation und Kulturwandel durch Mindful Leadership
Trigon wurde 2014 beauftragt, die Weiterentwicklung der Innovationskultur im Bereich Kundenlabore und Produktentwicklung bei der BASF Coatings mit einem Führungskräfte-Entwicklungsprogramm zu unterstützen. Das Programm Innovativ und bewusst führen umfasste im Zeitraum von zwei Jahren sechs Trainingsmodule mit insgesamt 19 Tagen, Einzelcoachings während der Module, umsetzungsorientierte Gruppencoachings zwischen und nach den Modulen sowie eine parallele Begleitung des Management-Teams.
Trigon hat in den letzten Jahren einen neuen Führungsansatz zu Mindful Leadership entwickelt. Hintergrund ist der wachsende Druck auf Führungskräfte durch Aufgaben-Überlastung, Terminüberhäufung, gestiegene Komplexität und ständige Veränderungen. Herkömmliche Trainingsformen reichen nicht mehr aus, um den dadurch entstehenden Stress zu bewältigen und das Bewusstsein offen und flexibel zu halten.
In Mindful Leadership-Trainings entwickeln Führungskräfte Fähigkeiten zum Bewusstseins-Management. Sie lernen, das Getriebensein im Stress zu bemerken, Reiz-Reaktionsverhalten zu stoppen und im Bewusstsein einen Raum der Besonnenheit und Kreativität aufzubauen. Für innovatives Führungshandeln und für die Fähigkeit, die Kultur der eigenen Organisation zu verändern ist das besonders wichtig. Die Fähigkeiten für Mindful Leadership können allerdings nur durch kontinuierliches Bewusstseinstraining entwickelt werden. Achtsamkeitsmeditation und Körperübungen sind die Basis eines solchen Trainings. Im Gegensatz zu reinen Achtsamkeits- bzw. Stressmanagement-Programmen in Unternehmen basiert der Trigon-Ansatz von Mindful Leadership jedoch darauf, systematisches Bewusstseinstraining mit konkreten Führungsmodellen und -methoden zu verbinden und praktisch anzuwenden.
So wird schließlich auch Innovation möglich: Im Gegensatz zu dem typischen Denken und Handeln, das aus gewohnten Mustern, Sicherheitsorientierung oder Stressemotionen entspringt, öffnet sich das Bewusstsein der Führungskraft für Neues und Unbekanntes. Dadurch entstehen neue Handlungsoptionen und der Spielraum des Handelns vergrößert sich. Auch die gelebte Organisationskultur kann wahrgenommen, aus neuen Perspektiven betrachtet und verändert werden.
Aufbau und Inhalte des Programms
Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, die Organisation am Laufen zu halten und gleichzeitig Veränderungen zu managen und die Zukunft zu gestalten (siehe Grafik 1). In allen Handlungsfeldern müssen sie dabei Situationen beurteilen und Entscheidungen treffen, gleichzeitig klar und professionell kommunizieren und zielgerichtet handeln (siehe Grafik 1). Die Qualität ihres Führungshandelns hängt entscheidend von dem jeweiligen Grad der Präsenz und Bewusstheit der Führungskraft ab. Deshalb betrachten wir die Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstführung als Zentrum und Ausgangspunkt allen Führungshandelns (siehe Grafik 1).
Grafik 1: Zentrale Handlungsfelder der Führung
In diesem Sinne haben wir das Führungskräfte- Entwicklungsprogramm so aufgebaut, dass es im ersten Modul bei der Selbstführung und dem eigenen Stressmanagement der Führungskraft ansetzt und dann über das Führen schwieriger Gespräche, die Mitarbeiterführung, die Teamführung bis zu strategisch-innovativem Führen und Change Management Schritt für Schritt die Komplexität ausweitet. Bewusstseinstraining in Form von Präsenz- und Achtsamkeitsübungen zieht sich kontinuierlich durch alle Module mit dem Ziel, dass die Beteiligten zwischen den Modulen weiter üben.
Zu Beginn des Programms stellte sich für uns die Frage, wie es gelingen kann, dass sich die teilnehmenden Führungskräfte, die zum großen Teil noch keinerlei Erfahrungen mit dem Ansatz von Mindful Leadership hatten, für Achtsamkeits- und Meditations- Übungen öffnen. Um das zu erreichen, wurden die Übungen Schritt für Schritt aufgebaut, pragmatisch durchgeführt und reflektiert sowie konsequent mit Situationen aus dem Führungsalltag verbunden. Beispielsweise stellt eine Führungskraft bei einer Übung, in der es darum geht, die Aufmerksamkeit auf den Atem zu fokussieren, fest, dass es ihr keine fünf Sekunden lang gelingt, beim Atem zu bleiben und dass ihre Gedanken fortlaufend und unkontrolliert wegwandern.
Wenn sie dann erkennt, dass sie dieses unkontrollierte Bewusstsein im Arbeitsalltag davon abhält, die Dinge zu Ende und in der Tiefe zu durchdenken und dass das die Ergebnisse der Arbeit grundlegend beeinflusst, dann werden solche Übungen als sehr sinnvoll erlebt. Methodisch wird im Programm mit erlebnis- und erfahrungsorientierten Übungen gearbeitet, die sowohl die körperliche, die emotionale als auch die kognitive Ebene ansprechen. Da alle Methoden konsequent anhand von aktuellen Themen aus dem Arbeitsalltag eingeübt werden, wenden die Führungskräfte in jedem Modul das neue Handwerkszeug direkt an und nehmen gleichzeitig konkrete Arbeitsergebnisse mit in den Arbeitsalltag.
Modul 1 bis 3: Sich selbst und andere führen
Im ersten Modul lag der Schwerpunkt auf der Erforschung der eigenen Prägungen und deren Wirkungen auf das Führungshandeln. Die Führungskräfte konnten erfahren und erforschen, wie negativer Stress entsteht, wodurch die Souveränität in Stress-Situationen verloren geht und wie die eigenen individuellen Stressmuster funktionieren. Sie bekamen konkretes Handwerkszeug, wie sie ihre Prägungen und Muster lockern und ihren eigenen Handlungsspielraum im Führungshandeln als Basis für Innovation erweitern können.
Im zweiten Modul ging es um Gesprächsführung in Spannungssituationen. Das zentrale Phänomen von Konflikten ist, dass die beteiligten Parteien in Stress geraten und die innere Besonnenheit und Souveränität verlieren. Sie werden zu Getriebenen ihrer eigenen Emotionen und der Konfliktdynamik. Wie kann eine Führungskraft diese Dynamik unterbrechen und in Spannungssituationen wieder eine offene Dialog-Atmosphäre schaffen? Die zentrale Methode war dabei der kommunikative U-Prozess.
Dabei sind Führungskräfte als Emotions- und Konflikt-Manager mit vermittelnden Fähigkeiten gefragt. Im Zentrum steht hier die Bewusstheit für die psychischen und sozialen Prozesse. Das Ziel des dritten Moduls war die Auseinandersetzung mit den eigenen Prägungen im Führungshandeln (Führungsstil) und die Anregung zum kreativen und situativen Handeln in der Mitarbeiterführung. Verständnis für die Situation der Mitarbeiter ist dabei genauso wichtig wie das Verständnis für sich selbst und für die jeweilige Situation in der Organisation.
Modul 4-6: Die Organisation entwickeln
In Modul 4 ging es um die Gestaltung von Teammeetings. Wie kann es gelingen, dass sich ein Team gegenseitig inspiriert, dass analytisches Denken wirklich in die Tiefe geht, dass widersprüchliche Positionen zu neuen Gedanken und nicht zu Positionskämpfen anregen und dass Ziele und Entscheidungen Umsetzungsenergie bei den Teammitgliedern auslösen? Hier ist die Führungskraft gefordert, sowohl die gemeinsamen Denk- und Problemlösungsprozesse als auch die psycho-sozialen Prozesse im Team lebendig zu gestalten und bewusst zu steuern.
Dabei gilt es, intensive Dialog-Prozesse im Team anzuregen. Das innere Verständnis der Bewusstseinsprozesse aus den Achtsamkeitsübungen bei den Teammitgliedern und auch bei sich selbst bildet die Grundlage bei der Gestaltung von Teammeetings. Strategisches Denken und Handeln sowie die Gestaltung von Veränderungsprozessen waren die Themen von Modul 5. Um Wandel in einer Organisation bewusst zu begleiten, ist es notwendig, ein Gespür für die Wechselwirkungen zwischen dem eigenen Handlungsbereich, der umgebenden Organisation und dem Umfeld (Kunden, Lieferanten, Markt etc.) zu entwickeln. Dazu sind systemisches Denken und ein tieferes Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen materiellen Rahmenbedingungen, Arbeitsprozessen, sozialen Spannungsfeldern und kulturellen Kräften notwendig. Innovationen können nur wirksam werden, wenn sie nicht an den Zwängen der gelebten Organisationskultur zerrieben werden.
Die Führungskräfte stellten sich den Realitäten ihrer Organisation und sie lernten, Zusammenhänge und Hintergründe zu verstehen und den Blick offen und innovativ in die Zukunft zu lenken. Mithilfe dieses Wissens wurden eigene Projekte geplant und auf den Weg gebracht. Im sechsten Modul wurde ein achtsamkeitsbasiertes und verhaltensorientiertes Planspiel durchgeführt, bei dem die Führungskräfte Methoden und Ansätze aus den ersten fünf Modulen anwenden und erproben konnten. Im Planspiel wird die reale Situation der Organisation auf leicht verfremdete Weise abgebildet, so dass sich die Teilnehmenden mit ihrem Fachwissen voll einbringen können.
Dabei hatten sie herausfordernde, komplexe Situationen in mehreren Teams ergebnisorientiert zu lösen. Sie konnten in der Rolle der Führungskraft, der MitarbeiterIn und der BeobachterIn lernen. Der Rollentausch zwischen Abteilungen (z. B. von der Produkt-Entwicklung zum Marketing) ermöglichte den Teilnehmenden völlig neue Perspektiven und Erkenntnisse. In intensiven und geschützten Feedbackprozessen konnten die Führungskräfte anschließend ihr Verhalten reflektieren und im weiteren Verlauf neue Verhaltensweisen erproben.
Resümee, erste Ergebnisse
Die Führungskräfte waren durch die neuen Übungsformen sowie durch die Modelle und Methoden herausgefordert, die Grenzen ihrer Gewohnheiten zu überschreiten. Die Fähigkeit zum Bewusstseins-Management stärkte das innovative Denken und Handeln. Die Anwendung der neuen Methoden im Führungsalltag zeigte positive Wirkungen, die auch von den MitarbeiterInnen der Führungskräfte zurückgespiegelt wurden. Für die persönliche Entwicklung war das Training besonders hilfreich. Ein Teilnehmer sagte z. B.: Ich bin durch diesen Lehrgang wieder in meinen persönlichen Fahrersitz gekommen! Gleichzeitig wurde die Spannung zwischen den Mindful Leadership-Haltungen und der gelebten Unternehmenskultur als sehr stark empfunden. Die gesamte Organisation befindet sich diesbezüglich in einem Entwicklungsprozess, der weitergeht.