Syntaktischer Beraten und Führen
Eine syntaktischere Beratungs- und Vorgehensform ermöglicht uns, den Dingen auf den Grund zu gehen, zu erkennen, was im Gesamtsystem in der Tiefe wirksam ist. Und gleichzeitig Kräfte zu heben, um damit neue individuelle Möglichkeitsräume zu eröffnen.
Syntaktischer wirksam werden
Syntaktischere Arbeit fokussiert auf das Erfassen von Strukturen und Mustern eines Themas oder eines Systems, um zieldienliche Möglichkeiten für das weitere Gestalten aufzuspüren und nutzbar zu machen. Geprägt haben den Begriff syntaktisch Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer vom SySt®-Institut mit ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeit. Sie betonen dabei den Aspekt der Betrachtung von Sprache unter Absehung von Bedeutung. Wenn wir zum Beispiel in einem Meeting den Raum verlassen und nach einer kurzen Zeit zurückkommen, dann kann es sein, dass in Ermangelung der Kenntnis über die besprochenen Inhalte unsere Aufmerksamkeit sich automatisch mehr auf die Mustererkennung richtet und wir sofort wahrnehmen, wenn sich beispielsweise Koalitionen gebildet haben oder sich eine Person in sich zurückzieht. Wir können Teile des Prozesses sehen, von denen wir zuvor aufgrund des Inhalts abgelenkt waren.
Beobachtbar ist dies auch, wenn wir in Ländern sind, in denen wir die Sprache nicht sprechen und sich uns dennoch durch Beobachtungen und Kontextualisierung wichtige Orientierungspunkte erschließen, das heißt unser Aufmerksamkeitsfokus ist automatisch mangels Kenntnis der Sprache ganz auf den puren Ablauf in der Form gerichtet. Diesen syntaktischen Charakter bringt auch Steve de Shazer mit seiner Aussage „Wir müssen nicht wissen, was gut ist, um zu verstehen, was besser ist“ zum Ausdruck. So haben lösungsfokussierte Fragen nicht die Zielsetzung Antworten zu erhalten, sondern beim Befragten Unterschiedsbildung in der Bedeutungsgebung zu erzeugen.
Syntaktischer dem Ozean von Anforderungen begegnen
Wenn Menschen oder Organisationen sich vor Probleme gestellt sehen, werden diese meist inhaltlich beschrieben und bewertet. Damit einher gehen oft auch ein Denken, Fühlen und Handeln in gewohnten Mustern verbunden mit einer inhaltsvollen Beschreibung. Dies verhindert oft, dass wir den Wald vor lauter Bäumen erblicken. Gleichzeitig stehen Individuen in Organisationen immer wieder vor der Frage, wie sie in einem komplexen Kontext mit einem Ozean an Anforderungen und vielfältigen Spannungsfeldern umgehen sollen, woran sie sich orientieren und ausrichten können. Wie gelingt es unter diesen Kontextbedingungen einen zieldienlichen Umgang zu finden und was kann dabei ein gesundes Navigieren unterstützen? Eine syntaktischere Vorgehensweise kann hier weiterhelfen, indem sie die Aufmerksamkeit mehr auf die Strukturen und Muster eines Systems lenkt und so unterstützend wirkt, um die Übersicht zu behalten, Strukturen zu erkennen und neue individuelle Möglichkeitsräume zu eröffnen.
Die Fokussierung auf Muster und Formen entspricht unseren Wahrnehmungsprozessen
Auch unsere Wahrnehmungsprozesse sind so organisiert, dass sie komplexe Inhalte konstruieren können, so der Philosoph Prof. Dr. Albert Newen, der in seiner Forschung betont, dass unser Gehirn beim Wahrnehmen wenige typische Merkmale zu einem komplexen Muster ergänzen kann. So nehmen wir einen Laptop nicht zuerst als Ansammlung von Formen und Farben wahr, sondern sofort als das Objekt, das es ist. Auch hindert uns das Fehlen bestimmter Merkmale bei einer Zeichnung nicht daran, den Gegenstand zu sehen. Unser Gehirn vervollständigt Merkmale direkt zu Mustern.
„Wahrnehmungen können daher umso reicher sein, je trainierter eine Person darin ist, Muster zu erkennen,“ fasst Newen zusammen. Beispielsweise kann eine Schachexpertin ein Schachbrett anders als ein Anfänger sehen, weil sie relevante strukturierende Muster als Hintergrundwissen automatisch aktiviert und dieses Wissen schon in den Wahrnehmungsprozess einfließt. Ein weiteres Beispiel ist, dass unser Gehirn beim Lesen von Wörtern alle Buchstaben eines Wortes auf einmal aufnimmt. Das Wort als Ganzes wird erfasst – wir lesen nicht Buchstaben für Buchstabe einzeln.
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Dadurch sind unsere Wahrnehmungsprozesse demnach so organisiert, dass wir durch eine bestimmte Fokussierung in der Lage sind, komplexe Inhalte zu konstruieren.
Die Kraft der syntaktischeren Arbeit fördert zieldienliche Bedeutungsgebung
Ausgehend davon, dass es in einem postmodernen Sinne keine objektiven Wahrheiten gibt und ein Phänomen keine Bedeutung an sich hat, sondern wir dem Phänomen eine Bedeutung geben, stellt sich die Frage, inwieweit eine syntaktischere Beratungsform eine zieldienliche Bedeutungsgebung fördern kann.
In der Beratungspraxis und im Führungsalltag bedeutet eine syntaktischere Vorgehensweise durch die Fokussierung der Mustererkennung, den Fokus auf das Wort als Ganzes zu richten und zu vermeiden, uns durch das Analysieren der einzelnen Buchstaben zu verlieren.
Durch das syntaktischere Nutzen von ganzheitlichen Modellen kann es gelingen, ein Phänomen in einem hilfreichen und entwicklungsfördernden Sinnzusammenhang zu betrachten, anstatt – durch alleinige Analyse des Phänomens – nach Bedeutungsgebung zu suchen, die aufgrund einzelner Buchstaben noch keinen Orientierungsrahmen für einen logischen Sinnzusammenhang bietet.
Durch ein Tiefertauchen mit syntaktischerer Arbeit kann hingegen erkundet werden, was im Gesamtsystem bzw. in der Tiefe wirksam ist, um so die Erkenntnis zu fördern und Ideen für neue Möglichkeiten zu finden.
Logische und archetypische Grundstrukturen ermöglichen Wesentliches zu entfalten
Durch ein syntaktischeres Arbeiten mit Schemata, Formaten und Modellen, die auf logischen Grundstrukturen oder Archetypen basieren, bieten wir den Menschen die Möglichkeit, ihre Fragestellungen und Themen so zu sortieren, dass sie dadurch ganzheitliche und zusätzliche Perspektiven einnehmen können. Und gleichzeitig geben diese Modelle auf einer strukturellen Ebene Orientierung und können Hinweise für eine hilfreiche Ausrichtung sowie nächste gute Schritte geben.
Konkrete Formate, mit denen ich hierzu in Organisationen arbeite, sind beispielsweise die systemisch-evolutionären Ganzheitsmodelle, die auf spirituellen Archetypen beruhen, wie z. B. das Systemkonzept der 7 Wesenselemente nach Glasl. Wenn ich mit einem Kundensystem über dieses Modell auf die Ansatzpunkte für einen OE-Prozess schaue, dann biete ich ihnen darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Aufmerksamkeit mit einem Blick auf den gesamten Wald zu fokussieren und von diesem Blickwinkel aus ihre Organisation im technisch-instrumentellen Sinne (Prozesse, Physische Mittel), im sozialen Zusammenwirken (Menschen, Funktionen, Aufbaustruktur) sowie über ihre Identität und Strategie zu betrachten und gleichzeitig auf einer Metaebene die Wechselwirkungen dieser Perspektiven im Blick zu behalten. So kann beispielsweise eine räumliche Veränderung bereits eine Auswirkung auf die Identität von Mitarbeitenden haben.
Hinweise auf eine hilfreiche Ausrichtung zeigen sich, wenn ich die zugrundeliegenden Qualitäten eines Prozesses (der etwas ins Fließen bringen sollte) oder einer Aufbaustruktur (die Stabilität geben sollte) daraufhin prüfe, ob die derzeitige Ausgestaltung dieser beider Wesenselemente auch der darunterliegenden Grundausrichtung entsprechen.
Literatur
Sparrer, I. & Varga von Kibéd, M. (2010). Klare Sicht im Blindflug. Heidelberg.
Newen, A. (2016). Defending the liberal-content view of perceptual experience: direct social perception of emotions and person impressions.
Glasl, F. & Lievegoed, B. (2016). Dynamische Unternehmensentwicklung. Bern.
Lesen Sie mehr zum Thema Syntaktisch in Beratung und Führung in unserer Gesamtausgabe Trigon Themen 03|2019