Wozu Vertrauen – geht es nicht auch ohne? Agile Zusammenarbeit, Dialog und Konflikt
Vertrauen ist der unsichtbare, aber spürbare Kitt für jede Zusammenarbeit – auch für agile. Gleichwohl kennt jeder das Gefühl der Erschütterung von Vertrauen im Zuge eines eskalierenden Konflikts. Eine Herausforderung mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten.
Vermutlich hat jeder bereits erfahren: fehlendes oder angeschlagenes Vertrauen erschwert die Kommunikation, führt zu überbordender Bürokratie durch komplizierte Absicherungsprozesse, konspirativen Kleingruppenbildungen und Strukturen, mit denen Begegnung vermieden werden soll. Es ist ein Dämpfer für Begeisterung, Co-Kreativität und Innovation. Damit einhergehende Überzeugungen lauten etwa: „Vertraue nur dir!“, „Sei auf der Hut vor vermeintlichen Freunden“ oder „Viel Feind, viel Ehr!“ – sich selbst erfüllende Prophezeiungen inklusive. Martin Hartmanns pointierte Aussage „Alle wollen Vertrauen, aber keiner will vertrauen“ wird zur Wirklichkeit. Vieles wird dann unter dem Mikroskop kritisch betrachtet, was eigentlich einen über den Tellerrand gerichteten Weitblick erfordern würde. Der Kunde und seine Bedürfnisse geraten aus dem Blick.
Wer sich auf den Weg zu agiler Zusammenarbeit macht, wird bald feststellen, dass dieses Vorhaben nur mit Vertrauen(saufbau) gelingen wird. Luhmann´s Aussage „Vertrauen dient der Reduktion sozialer Komplexität“ erhält praktische Relevanz.
Vertrauen und Dialog
Doch was ist Vertrauen? Es ist ein Phänomen, das auf zumindest drei Ebenen verortet werden kann:
- Makroebene: Vertrauen in gesellschaftliche Grundregeln (z.B. dass sich jeder an die Verkehrsregeln hält) und in Systeme (z.B. funktionierender Rechtsstaat, gesicherte Rente durch den Generationenvertrag etc.)
- Mesoebene: organisationales Vertrauen (z.B. Vertrauen in eine Marke, in die Einhaltung von Arbeitsrechten, faire Führung etc.)
- Mikroebene: in Interaktionen (z.B. Vertrauen in die Integrität von Personen, Einhaltung von Vereinbarungen, Kooperationsbereitschaft etc.)
Mit Vertrauen ist weder ein rationales Kalkül noch eine vage Hoffnung gemeint. Vielmehr soll darunter eine soziale Relation, eine wechselseitige Orientierung aufeinander verstanden werden. Um Vertrauen aufzubauen, wird u.a. eine dialogische Unternehmenskultur („Führen auf Augenhöhe“) proklamiert. „Besinnen wir uns auf die aller einfachste Tatsache unseres Ursprungs miteinander: Das Wort, das gesprochen wird, hier wird´s geäußert und dort vernommen; aber das Gesprochensein hat das Zwischen zum Ort“ (Martin Buber). In diesem Zwischen entsteht Vertrauen – die Berechenbarkeit von Situationen und Dynamiken zwischen Menschen. Vertrauen beruht auf Interaktionen und damit verbundenen konkreten „Geschichten“ und Erfahrungen. Insofern ist Vertrauen kein feststehendes Gut, es muss dialogisch gepflegt und immer wieder erlebt werden – kollegial, in und zwischen Teams, hin zu Kunden.
Dialog und Konflikte
Vertrauen ist aber kein Harmoniekonzept. Vielmehr ist es risikoreich, kann es doch erschüttert werden – insbesondere im Zuge von Konflikten. „Der Ursprung allen Konflikts zwischen mir und meinen Mitmenschen ist, dass ich nicht sage, was ich meine, und dass ich nicht tue, was ich sage. Denn dadurch verwirrt und vergiftet sich immer wieder und immer mehr die Situation zwischen mir und den anderen“ (Buber). Dieser einfache wie anspruchsvolle Satz gilt auch für die Zusammenarbeit, insbesondere für Führende. Man sollte Konflikte aber nicht als pathologische Erscheinungen bewerten, sondern vielmehr als eine Form sozialen Handelns (Max Weber) verstehen. Wo Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenarbeiten, treten Differenzen zu Tage und werden auch Konflikte entstehen, wenn die Beteiligten nicht fähig sind, konstruktiv damit umzugehen. Das gilt insbesondere für agile Zusammenarbeit.
Wesentlich ist dabei, wie tief ein Konflikt eskaliert ist: Ist das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien noch vorhanden? Wird es in Frage gestellt? Ist es zerrüttet? An dieser Stelle kann das Verhältnis zwischen Dialog und Konflikt sichtbar werden.
Quelle: Friedrich Glasl (2020), Ergänzungen Ingo Bieringer
Konfliktfähigkeit und Vertrauensbildung
Durch die Klimakrise, Corona und Digitalisierung wird deutlich: Kunden und Mitarbeiterinnen werden von Organisationen nur dann begeistert sein, wenn sie diese als tatsächlich vertrauenswürdig erleben. Dialog- und Konfliktfähigkeit tragen dazu wesentlich bei. Beide Fähigkeiten sind Gelingensbedingungen für agile Zusammenarbeit. Eine zentrale Aufgabe von Leadership ist das Entwickeln von persönlicher Konfliktfähigkeit und einer konfliktfesten Organisationskultur. Dies beinhaltet eine Vielfalt persönlicher und organisationaler Entwicklungsmöglichkeiten: Menschen können Konfliktmuster verändern, co-kreativer Spirit und beseelte Organisationen (Laloux) mit Wirkkraft können entstehen. Es geht u.a. um das Wahrnehmen und Aus-Halten von Konflikten, um das Ansprechen, um Präsenz und um Mut.
Literatur:
Martin Buber: Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre. Gütersloh 2001
Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führung, Beratung und Mediation. Bern/Stuttgart 2020 (12., akt. und erw. Auflage)
Martin Hartmann: Vertrauen. Die unsichtbare Macht. Frankfurt a.M. 2020