Warum wir Hierarchien benötigen
In den letzten Jahren wurden immer wieder Konzepte zur Unternehmenssteuerung verbreitet, die mehr oder weniger davon ausgehen, dass Organisationen auch ohne Hierarchien auskommen können. Aber ist das tatsächlich eine Antwort auf die Herausforderungen und Fragen der Unternehmensentwicklung?
Klar ist, dass eine militärische law and order-Führung für die meisten Menschen und Organisationen nicht mehr funktionieren kann. Sich wahr- und ernstgenommen zu fühlen, mitgestalten zu können und in bestimmten Teilen selbstverantwortlich zu agieren, sind wichtige Kulturelemente von erfolgreichen Organisationen geworden. Es gibt allerdings Grenzen der Mitgestaltung, die sich am besten anhand der Differenzierung von Systemebenen beschreiben lassen.
In Organisationen existieren unterschiedliche Komplexitäts- und Zeithorizonte, die wahrzunehmen und zu steuern sind. So braucht es Menschen, die sich um das Tagesgeschäft kümmern und durchaus eigenverantwortlich das operative Kundengeschäft bewältigen. Es braucht aber auch Menschen und Teams, die sich um die Vernetzung der einzelnen Teile kümmern sowie auch Führungskräfte, die längerfristigen Entwicklungen sehen und in der Lage sind, strategische Weichenstellungen zu gestalten, die die Organisation als Ganzes betreffen.
Systemebenen differenzieren
Wir müssen bei der Frage der Unternehmenssteuerung zunächst über eine Differenzierung der Systemebenen sprechen. Diese unterscheiden sich nach dem betrachteten Zeithorizont und der Anzahl der Einflussfaktoren, also der Komplexität. Ein Vorstand eines Unternehmens muss Entscheidungen treffen, einen längeren Zeithorizont im Blick haben und hat deutlich mehr Einflussfaktoren zu berücksichtigen als ein/e Leiter:in einer Abteilung. Operative Führungskräfte haben meist eine sehr funktionale Perspektive auf ihren Wirkungsbereich; und Mitarbeiter:innen sind darauf fokussiert, das operative Tagesgeschäft erfolgreich zu bewältigen.
Ein Basiskonzept, das Konzept der drei Systemebenen Makro-, Meso- und Mikro-System einer Organisation (vgl. Weiss: 2011 und Glasl: 2017), das eine hilfreiche methodische Unterstützung liefert.
Makro-Führung |
Meso-Führung |
Mikro-Führung |
- Überblick über das Gesamtsystem haben und strategische Grund-orientierung geben
- Eine über die Organisation hinausgehende Verantwortung für die Positionierung übernehmen
- Werte, Ethik und Kultur pflegen und weiterentwickeln
|
- Im Spannungsfeld zwischen Makro- und Mikro-System strategische Konzepte erstellen
- Vertikale und horizontale Dialoge fördern
- Kommunikation und Vernetzung
- Manager von Entwicklungsprozessen sein, mittelfristig für Mitarbeiter:innen und Ressourcen sorgen
|
- Steuerung der operativen Einheiten
- Orientierung am Kernprozess
- Für einen hohen Grad an Selbstplanung, Selbststeuerung und Selbstkontrolle sorgen
|
Bei Hierarchie geht es um eine differenzierte Steuerung, die unterschiedliche Systemebenen berücksichtigt.
Es gibt klare Gründe dafür, dass wir für die Steuerung von Organisationen hierarchische Entscheidungsmöglichkeiten benötigen.
So brauchen weichenstellende Entscheidungen in Strategie- und Strukturprozessen einen Überblick über alle Aufgabenbereiche und Funktionen und eine über das hier und jetzt hinausgehende Betrachtung des Zeithorizonts. Ein anderes Argument für Hierarchie ist, dass die einzelnen Aktivitäten und Funktionen in einer Organisation koordiniert werden müssen. Dort, wo diese Koordination selbstverantwortlich nicht mehr möglich ist, braucht es hierarchische Entscheidungen. Gerade in kritischen Situationen bzw. in Krisen sind schnelle und klare Entscheidungen nötig. Gleiches gilt für radikale Erneuerungen und Innovationen. Hier hilft eine verantwortungsvolle Hierarchie.
Wesentlich ist auch, dass formalrechtliche Verantwortungen und Konsequenzen bei Geschäftsführungen, Vorständen oder Unternehmer:innen liegen und von dort gar nicht delegiert werden können.
Hingegen kann eine überzogene hierarchische Organisationskultur Unternehmen massiv schaden. Im operativen Geschäft können Entscheidungen verlangsamt oder gebremst werden, weil alles über mehrere Führungsebenen entschieden werden muss. Wenn Entscheidungsverantwortung für Kundenfragen nicht in der operativen Verantwortung liegt, verliert die Organisation ihre Kundenähe und die nötige Reaktionsgeschwindigkeit.
Selbstorganisation und Selbstverantwortung spielen in der Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeitenden eine wesentliche Rolle. Überzogene hierarchische Entscheidungsstrukturen, die operative Freiräume zu sehr einengen, sind hier nicht förderlich. Alleinentscheidungen von Führungskräften, die oft weit weg von den Anforderungen im operativen Geschäft sind, können für die Entwicklung von Organisationen gefährlich und kritisch sein.
In einer Polarität dargestellt, ergibt sich folgendes Bild:
Eine Organisation, die alles basisdemokratisch lösen möchte, ist ebenso gefährlich wie eine Organisation, die von autoritären Alleinentscheidern geführt wird.
Wir benötigen Organisationsformen, die einerseits eine flache Organisationsstruktur für einen reibungslosen Fluss im operativen Geschäft ermöglichen, und andererseits strategische und strukturelle Weichenstellungen, die hierarchische Entscheidungen zulassen.
Mehr über den Autor: Mario Weiss