WENDEPUNKTE IN KRISENZEITEN GESTALTEN

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Wendepunkte in Krisenzeiten gestalten

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kommen Menschen und Organisationen an Wendepunkte, Bruchstellen und Übergänge. Erhöhte Wahrnehmungsfähigkeiten, Planen in Alternativen, Steuern im Hier und Jetzt sowie clevere Doppelstrategien können hilfreiche Antworten sein.

„Man kann ein Problem nicht mit der Art des Denkens lösen, die zu dem Problem geführt hat.“
(Albert Einstein)

 

Durch Krisen, aber auch durch Erfolge (starkes Wachstum) entstehen immer wieder Konstellationen, die als Wendepunkte zu bezeichnen sind. Sie fordern Führungskräfte heraus, ihre Perspektive zu erweitern oder auch zu wechseln, um einen neuen Weg zu finden. Derzeit dominiert die Wirtschaftskrise unser Denken und hinterfragt die alten Muster der Problembewältigung.

Bloßes Durchtauchen, Kapazitäten und Mitarbeiter:innen zu reduzieren, können strategisch die falschen Reaktionen sein, wenn es darum geht, die Krise zu bewältigen und gleichzeitig im nächsten Aufschwung erfolgreich zu sein. Wichtig ist es jetzt, relevante Signale rechtzeitig wahr- und ernst zu nehmen und die Ansatzpunkte zu identifizieren, mit denen gleichzeitig harte Schnitte und Erneuerung gestaltet werden können.

Wahrnehmungsfähigkeit schärfen

Krisensituationen verengen den Blick! Die Insolvenzforschung zeigt, dass nur mehr Ausschnitte der Wirklichkeit wahrgenommen und oft falsche Schlüsse gezogen werden. Das kann bedeuten, an alten Erfolgsrezepten starr festzuhalten. Andererseits gibt es überzogene Panikreaktionen mit vorschnellen Handlungen. Chancen und Möglichkeiten werden nicht ausreichend gesehen, Innovationen als zu risikoreich abgetan, oder sie fallen dem Sparstift zum Opfer.

In schwierigen Zeiten müssen wir die Fähigkeit zur Wahrnehmung des Umfeldes besonders schärfen. Wie ist die Lage unserer Kunden? Wie verhalten sich unsere Kapitalgeber? Wie stabil sind unsere wichtigsten Lieferanten? Was ist das „Gute im Schlechten“? Geeignete Maßnahmen dafür sind Kundenkonferenzen, ständiges Monitoring und eine gute Gesprächskultur im Management. Durch sensiblere Wahrnehmungen können Handlungsfelder und strategische Lücken für das eigene Unternehmen erkannt werden (Kosten zu hoch, Produkte zu alt, Vertriebswege falsch, Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen vernachlässigt etc.).

Je früher wir die „strategische Lücke“ erkennen, umso wirksamer können wir die richtigen Antworten geben.

Vordenken statt nachdenken

Auch wenn wir heute wenig sicheres Wissen über das, was auf uns zukommt, haben – wie sich die Branche, der Markt entwickelt und wie sich unsere Partner:innen in Zukunft verhalten –, bedeutet dies nicht, dass wir auf Strategie, Planung und Zukunftsentwürfe verzichten können. Strategiearbeit und Planung hat in Krisenphasen eine andere Qualität als in Zeiten stabilen, nachhaltigen Wachstums.

Wir können uns jetzt nicht auf die Erfahrungen der Vergangenheit verlassen, also bestehende Strategien und Budgets einfach fortschreiben und extrapolieren. Zu sehr verstellen Erfahrungen der Vergangenheit den Blick und schaffen blinde Flecken.

Besser geeignet ist das Denken in Szenarien. Mit Szenariotechniken können wir zukünftige Geschehnisse im Umfeld sowie deren Einfluss auf das eigene Unternehmen vordenken. Dies gibt wichtige Hinweise für zukunftsrobustere Strategien. Es werden relevante Einflussfaktoren erfasst und zwei bis vier Szenarien beschrieben. Von diesen möglichen zukünftigen Welten ausgehend, werden alternative Strategien, Pläne und Maßnahmen erarbeitet. Szenarien sind eine gute Übung, um mental und konzeptionell flexibler zu werden.

Steuern im Hier und Jetzt

Pläne dürfen sich der entgegenkommenden Realität nicht verschließen, sondern müssen adaptiert werden. Neben der beschriebenen Wahrnehmungsfähigkeit und der Vorbereitung auf unterschiedliche Szenarien gewinnt in schwierigeren Zeiten die ereignisnahe Steuerung massiv an Bedeutung. Es geht darum, geistesgegenwärtig die Ereignisse zu erfassen, zu bewerten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Und dies oft sehr rasch und unkompliziert. In unserer komplex gewordenen Welt braucht es dazu vor allem die Dialogfähigkeit der Schlüsselpersonen einer Organisation. Für die üblichen taktischen, politischen Spielchen in Meetings sollte jetzt keine Zeit sein.

 

Die richtige Tiefe

An Wendepunkten reichen oberflächliche Veränderungen nicht aus. So ist beispielsweise eine Kapazitätsanpassung keine richtige Antwort auf eine verfehlte Produktpolitik!
Die folgende Abbildung zeigt fünf unterschiedlich tiefe Ebenen, in die Veränderungen einer Organisation geführt werden können oder müssen.

Auf Herausforderungen reagieren: In seltenen Fällen ausreichend, um Krisen zu bewältigen.

Strukturen anpassen: Reduktion von Kapazitäten, Standortschließungen, unproduktive Funktionen abbauen. Die Herausforderung der Krise: Strukturen so aufrechterhalten, dass sie wieder zur Verfügung stehen, wenn die Krise überwunden ist.

Prozesse vereinfachen: Prozesse zu verändern ist langwieriger als Strukturen zu verändern, da Prozesse tief in das Organisationsgeschehen eingebettet sind. In Krisenzeiten fehlt oft die Kraft für diese tiefergehende Auseinandersetzung, obwohl hier die größten Potenziale liegen. Business Process Re-Engineering ist keine kurzfristig wirksame Krisenmedizin.

Mentale Modelle verändern: Es geht darum, Annahmen über die Wirklichkeit, Denkmodelle, Kulturmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und – wo notwendig – zu erneuern. Das Denken, das uns in die Krise geführt hat, ist meist nicht geeignet, uns aus dieser herauszuführen! Wir müssen vom linearen „single loop“-Lernen (mehr/weniger vom Selben) zum „double loop“-Lernen und sogar darüber hinauskommen. Das heißt, selbst anders handeln, andere mit neuem Herangehen handeln lassen, Handlungsgrenzen sprengen.

Neuerschaffung: Es geht darum, sich neu zu erfinden – ein schöpferischer Vorgang. Wenn die heutigen Geschäftsmodelle nicht mehr tragen, die Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr sichergestellt ist, müssen sich Unternehmen neu erschaffen oder zumindest Teilbereiche völlig neu kreieren.

Sanieren und Entwickeln

In Krisensituationen geht es darum, defensive und offensive Maßnahmen gleichzeitig zu setzen.

Sanierungs- und Stabilisierungsmaßnahmen zielen auf Bestandserhaltung durch rasch wirksame Programme, wie Kostenreduktion, Restrukturierung oder Stärkung der Marktbearbeitung.

Entwicklungsmaßnahmen zielen auf die Zeit nach der Krise und beinhalten Innovationsprozesse, Qualifizierung oder das Aufspüren von neuen Marktchancen.

Das differenzierte Vorgehen von gleichzeitigem Beschleunigen und Bremsen stellt an die Führungskräfte hohe Anforderungen. Gleichzeitig werden Maßnahmen gesetzt, die offensiv wirken und Neues schaffen und defensive Maßnahmen, um Kosten zu reduzieren, Standorte aufzulassen etc. Diese Doppelstrategie ist ein hilfreiches Muster für schwierige Zeiten. Sie fordert aber auch viel Information und Kommunikation zu den Mitarbeiter:innen, um die Vorgehensweise gut verständlich zu machen.

Handlungsempfehlungen für Manager:innen in schwierigen Wendephasen

  • Wahrnehmungsfähigkeiten schärfen
  • Sich auf alternative Situationen in der Zukunft vorbereiten
  • Herausforderungen frühzeitig erkennen
  • Intuitive Zugänge ermöglichen
  • Steuern und entscheiden im Hier und Jetzt
  • Gute Gesprächskultur zwischen den Schlüsselpersonen
  • Veränderungen nicht nur an der Oberfläche
  • Beschleunigen und gleichzeitig bremsen